Die Andacht zum Wochenspruch – von Manfred Günther in den 90er Jahren verfasst – gelesen von Gert Holle
Wochenspruch zur Woche nach dem Sonntag "Miserikordias Domini":
»Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.« (Joh. 10,11a.27-28)
Was geht ihnen so durch den Kopf, wenn sie vom »guten Hirten« hören? Vielleicht wird sich der eine oder andere noch an einen Schäfer mit seiner Herde erinnern, ein Anblick, wie man ihn von Zeit zu Zeit noch haben kann. Vielleicht denkt auch einer: Ein Hirte... völlig überholt... ein unzeitgemäßes Bild...wer kann damit etwas anfangen? Mir fiel ein, dass ich vor einigen Wochen auf einem Flohmarkt gleich mehrere Gemälde gesehen habe, die den »guten Hirten« für ein paar Mark feilboten. Sie wissen: Diese Bilder, wie sie früher über manchen Ehebetten hingen und auch heute noch hängen.
Ich habe die meist jungen Leute auf dem Flohmarkt nicht gefragt, wie sie zu diesen Gemälden gekommen sind. Aber ich kann mir denken, wie das wohl zuging: Die Großeltern sind nun beide gestorben. Ihr Schlafzimmer wurde entrümpelt. Manches ist fortgeworfen worden; einiges ließ sich noch verkaufen. Und dieses »Jesusbild«? Wegwerfen hat sich keiner getraut: Immerhin, das ist doch Christus, den der Maler dargestellt hat. Und die Oma hat immer so daran gehangen. Also zum Flohmarkt damit. Vielleicht findet sich einer, der noch Freude an so was hat.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich verstehe diese Gedanken. Mir sind diese Jesusbilder auch zu süßlich. Mein »guter Hirte« würde anders aussehen. Er hätte nicht diesen sanften Blick und er trüge kein weißes Lämmchen über der Schulter. Mein Hirte hinge am Kreuz! Und sein Mund wäre verzogen und seine Gestalt verbogen von dem, was wir ihm angetan haben. Und wenn ich schon mit auf dieses Bild sollte, dann malte ich ein schwarzes Schaf in die Nähe des Kreuzes, sehr klein und sehr demütig. Da - am Kreuz - ist der Herr mein »guter Hirte« geworden. Nirgends anders! Da hat er für mich alle Schuld und alles Dunkel getragen. Da führt er mich durch's finstere Tal. Da tröstet er mich. Da ist das frische Wasser der Hoffnung, die rechte Straße durch's Leben, die grüne Aue einer Zukunft in der Nähe Gottes. - Aber ich würde so ein anderes Jesusbild auch nicht verkaufen!
Ich könnte es mir sogar in meiner Stube an der Wand vorstellen. Ich würde mir sagen: Hinter diesem Bild - so kitschig es mir auch erscheint - steht eine Wahrheit, die wichtig ist. Diese Gemälde vom Hirten Jesus möchten mein Vertrauen stärken: Wie er das weiße Schäfchen auf dem Rücken trägt, so trägt er dich auch. Wie er dieses Tier, das sich verlaufen hatte, gesucht und gefunden hat, so sucht und findet er auch dich. Wie er dieses Lamm liebt und schätzt, so dass er die anderen zurücklässt, um es heimzuholen, so liebt er dich auch. Das will er auch für dich tun, so wird er auch dir ein »guter Hirt«!
Wie gesagt: Mein Hirte sähe anders aus, und ich kann verstehen, wenn sich einer von einem solchen Bild trennt – wenn doch sogar noch dafür bezahlt wird. Aber ich hoffe sehr, dass die meist jungen Menschen, die ich auf dem Flohmarkt solche Gemälde anbieten sah, die Wahrheit behalten, die hinter diesen und ähnlichen Bildern steht:
Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.
Was geht ihnen durch den Kopf, wenn Sie vom »guten Hirten« hören? Ein solcher Vers? Ein Bild von Jesus mit dem Lämmchen auf der Schulter? Der Gedanke: Ist doch längst überholt, nicht zeitgemäß?
Wie auch immer ihre Vorstellung sein mag, was auch immer solche Jesusbilder an Gefühlen und Abwehr bei ihnen auslösen, ich wünsche ihnen das feste Vertrauen auf die Wahrheit, die uns die Maler damit vermitteln wollen: Du hast auch so einen Hirten, der dich trägt, der dich liebt, der nach dir sieht, dem du fehlst, wenn du dich verläufst, ja, der gar sein Leben für dich einsetzt, um dich heimzuholen.
An den Bildern liegt nicht viel. An dieser Wahrheit liegt alles!