In der Kälte der Nacht – Ein Lied für die Menschlichkeit - eine Besinnung für junge Leute - von und mit Gert Holle
In meinem Lied „In der Kälte der Nacht“ erzähle ich eine Geschichte, die zugleich individuell und universell ist. Es ist die Geschichte eines Mannes, der einst Ingenieur war, dessen Lebensweg jedoch aus den Bahnen geriet – durch Stress, Einsamkeit, Alkohol und die Härte des Lebens. Seine Existenz führt ihn in die Kälte der Straße, wo er versucht, mit dem Verkauf eines Straßenmagazins einen Funken Würde zu bewahren.
Die Würde des Menschen
Die Würde des Menschen ist unantastbar – so heißt es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Doch die Realität zeigt oft ein anderes Bild. In der Begegnung mit Obdachlosen fühlen wir uns nicht selten hilflos, manchmal auch unangenehm berührt. Es liegt eine Konfrontation in diesen Begegnungen: mit der Fragilität unseres eigenen Lebens, mit der Frage, was uns von „ihnen“ trennt, und vor allem mit der Verantwortung, die wir füreinander tragen.
Im Matthäus-Evangelium sagt Jesus:
„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40)
Diese Worte rufen uns auf, in jedem Menschen – gerade in den Verwundeten und Bedürftigen – das Antlitz Christi zu erkennen. Der Song greift genau dieses Thema auf, indem der Text uns mit der Geschichte eines Mannes konfrontiert, der trotz aller Rückschläge seinen Wert und seine Menschlichkeit bewahrt. Durch einen einfachen Akt des Zuhörens und Teilens kann ein kleines Stück Würde und Wärme zurückgegeben werden.
Obdachlosigkeit als philosophische Herausforderung
Philosophisch betrachtet zeigt Obdachlosigkeit die Zerbrechlichkeit menschlicher Gemeinschaften. Der griechische Philosoph Diogenes, der im Fass lebte, stellte die Frage nach dem Wesentlichen des Lebens: Was brauchen wir wirklich? Obdachlosigkeit ist jedoch keine freiwillige Entscheidung wie bei Diogenes, sondern oft das Ergebnis eines Netzes aus sozialem Versagen, Ungerechtigkeit und Schicksalsschlägen.
Das Teilen, das Helfen, das Hinsehen – das sind keine bloßen moralischen Imperative, sondern Akte, die den Kern menschlicher Gemeinschaft erneuern. Viktor Frankl schrieb, dass die Suche nach Sinn selbst im tiefsten Leid das Leben erträglich macht. Für viele Obdachlose ist das Gespräch, der kleine Akt des Kaufs einer Straßenzeitung, ein Moment, der zeigt: „Du wirst gesehen. Du bist nicht vergessen.“
Ein Gebet für die Menschen in der Kälte
Gott des Lebens,
Du siehst die Menschen, die in der Kälte der Nacht umhergehen,
die keine Wohnung, keine Wärme, keine Heimat haben.
Schenke ihnen Momente der Hoffnung und Begegnungen,
die sie daran erinnern, dass sie wertvoll sind – in Deinen Augen und in unseren.
Bewege unsere Herzen, nicht achtlos vorüberzugehen,
sondern mitfühlend zu handeln.
Gib uns den Mut, zu teilen, was wir haben,
damit Deine Liebe durch uns sichtbar wird.
Amen.
Ein Segensspruch
Geht hinaus in die Welt mit offenen Augen und Herzen.
Segnet die, denen Ihr begegnet,
durch Eure Worte, Taten und Eure Blicke.
Und möge der Gott, der uns alle kennt und liebt,
Euch begleiten und stärken,
damit Ihr ein Licht seid – auch in der Kälte der Nacht.
Amen.
Diese Besinnung möge uns inspirieren, den Mitmenschen nicht aus den Augen zu verlieren – auch (oder gerade) dann, wenn ihre Not unbequem ist. Der Song bleibt ein Aufruf zur Menschlichkeit, der auch nach 30 Jahren nichts an Aktualität verloren hat.
Er steht am Straßenrand - die Zeitung in der Hand -
und fragt Dich: "Kaufen Sie?"
Der Mantel eingesaut, die Haare fettverschmiert -
würdest lieber weiter gehen.
Doch Du bleibst stehen und hörst es Dir an,
was er Dir zu erzählen hat,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
IN DER KÄLTE DER NACHT.
Er war einst Ingenieur, der Stress, der fiel ihm schwer,
war oft alleine - Tag und Nacht.
Er spricht von Alkohol, wie ihn das runterzog,
hat ihn fast um den Verstand gebracht.
Du, er hat Dich getroffen und Du hörst es Dir an,
was er Dir zu erzählen hat,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
IN DER KÄLTE DER NACHT.
Schicksal tut so weh,
IN DER KÄLTE DER NACHT
sieht die schöne Welt meist anders aus,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
wenn man keine Wohnung und keinen Euro mehr hat,
IN DER KÄLTE DER NACHT.
Sagt, dass er 'ne Chance hat mit diesem schönen Blatt
und er bittet: "Kaufen Sie!"
Die Augen sind so leer, ein Lächeln fällt ihm schwer
und er sagt: "Na kommen Sie!?"
Und Du fackelst nicht lange und Du gibst ihm zwei Euro
aus dem dicken Portemonnaie,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
IN DER KÄLTE DER NACHT.
Er steht am Straßenrand - zwei Euro in der Hand -
und sagt Dir: "Dankeschön!"
Der Mantel eingesaut, die Haare fettverschmiert,
Du wirst jetzt weiter gehen.
Und Du denkst Dir: "Es ist ja so schlimm, was dieser Mensch erleiden muss,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
IN DER KÄLTE DER NACHT."
UND DU DREHST DICH SCHNELL UM UND DU NIMMST IHN MIT NACH HAUS' ZU DIR - FÜR EINE WARME NACHT.
Schicksal tut so weh,
IN DER KÄLTE DER NACHT
sieht die schöne Welt meist anders aus,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
wenn man keine Wohnung und keinen Euro mehr hat,
IN DER KÄLTE DER NACHT,
IN DER KÄLTE DER NACHT.
(Worte & Musik: Gert Holle - Hamburg 1994)
Autor: Gert Holle - 9.12.2024