Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm. 12,21)

20. - 26. Oktober 2024

Foto: canva.com / Gert Holle
Foto: canva.com / Gert Holle

Die Andacht zum Wochenspruch - von Manfred Günther verfasst, gelesen von Gert Holle

»Das Böse ist immer und überall«, heißt es in einem Schlagertext der österreichischen Band „Erste Allgemeine Verunsicherung“ in den 80er Jahren. Das ist keine Frage. Das ist eine Feststellung. Zu fragen wäre: Ist es dem, der das sagt, ernst damit? Und: Glauben wir das?

 

Ich finde, es wäre höchste Zeit, einmal wahrzunehmen, wie unverhüllt das Böse heute auftritt und wie unverschämt es sich allenthalben breitmacht! Wir sehen doch, wie der Handwerksmeister über die Straße seine Lehrlinge schikaniert, wie er sie anschnauzt und seine Launen an ihnen auslässt. Wir wissen doch, dass der kleine Junge im Nachbarhaus von seinem Vater oft schon misshandelt wurde. Die blauen Flecke auf dem Gesichtchen, die blutunterlaufenen Stellen am Hals sind uns gerade neulich wieder aufgefallen. Und wir hören jeden Tag die bösen Reden über diesen und jenen aus unserem Ort. Wir lassen uns die jüngsten Gerüchte weitersagen, den neuesten Tratsch.

 

Warum lassen wir das Böse gewähren? Ja, warum nennen wir es noch nicht einmal beim Namen? Alle möglichen Entschuldigungen erfinden wir noch für das Böse: »Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, sagen wir, wenn der Meister den Auszubildenden quält und runtermacht. »Wer seine Kinder liebt, züchtigt sie«, haben wir für den prügelnden Vater als Ausrede parat. Und den verleumderischen Reden mancher Mitmenschen kommen wir mit »es wird schon was dran sein« entgegen. Wirklich: »Das Böse ist immer und überall«. Und es wird ihm nicht allzu schwer gemacht, seine Herrschaft zu behaupten.

Woran liegt das nur? Sind wir vielleicht selbst viel zu sehr in böse Gedanken und Taten verstrickt? Sitzen wir etwa selbst im berühmten Glashaus, dass wir es lieber unterlassen, andere mit Steinen zu bewerfen? Eine plausible Erklärung wäre das schon. Wer wird denn mit dem Finger auf andere zeigen, wenn er erwarten muss, die deuten mit Recht zurück? Ja, vielleicht geht es uns noch so wie dem Menschen aus den Worten Jesu, der dem Nächsten den Splitter aus dem Auge ziehen will und den Balken im eigenen Auge nicht bemerkt?

 

In jedem Fall scheint die Empfehlung dieses Verses zu spät zu kommen: Lass dich nicht vom Bösen überwinden! Wir sind längst überwunden. Es hat uns alle fest beim Wickel. Die Frage zu diesem Wochenspruch kann wohl nur sein: Wie kommen wir da wieder raus?

 

Lesen wir weiter: Überwinde das Böse mit Gutem! Warum sollte es nicht möglich sein, Gutes zu denken und zu tun, das stärker ist als das Böse - selbst wenn uns das Böse schon ziemlich fest im Griff hat? Wir können uns denken, dass es nicht reicht, nun ins Nachbarhaus zu laufen und den gewalttätigen Vater zur Rede zu stellen (obgleich uns ein gepeinigtes Kind dafür schon ewig dankbar wäre). Wir werden die Bosheit in uns selbst wohl auch bekämpfen müssen. Wir werden diese unangenehme, aufwendige Arbeit wohl angehen müssen, eigene Fehler, eigene Bosheit aufzuspüren und abzutun. Vielleicht beginnen wir damit, dass wir unsere Bosheit böse nennen und nicht »kleine Schwäche« oder »eine Marotte von mir«. Dieser fortwährende Selbstbetrug hat ja doch keinen Sinn. So werden wir diesem Wort nie gerecht: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

 

Ich finde es sehr ermutigend bei unserem Kampf gegen das Böse, dass die Bibel offenbar mit der Bosheit von uns Menschen rechnet. Würden wir sonst solche Worte in ihr lesen? Noch mehr spornt mich das Wissen an, dass Jesus gerade um solch boshafter, sündiger Menschen willen in die Welt gekommen ist, wie ich einer bin. Ist es da nicht sehr verheißungsvoll, die Arbeit gegen das Böse aufzunehmen - »immer und überall«?


Autor: Manfred Günther - gelesen von Gert Holle - 19.10.2024