Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. (Lk. 19,10)

16. Juni - 22. Juni 2024

Foto: canva.com
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Die Andacht zum Wochenspruch – von Manfred Günther, gelesen von Gert Holle


Wochenspruch zur Woche nach dem 3. Sonntag nach dem Trinitatisfest:

Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. (Lk. 19,10)

 

Wer ist schon »verloren«? Wer wird von sich schon sagen: »Ich bin in die Irre gegangen; ich bin auf dem falschen Weg; ich weiß nicht mehr, wo's lang geht!«? Sehr selten wird man das hören! - Dagegen wird oft so gesprochen: »Du bist nicht recht! Dir fehlt der richtige Glaube! Dein Weg führt ins Verderben!« Besonders frömmere Kreise sind immer rasch dabei, wenn's um solche Einschätzung, solche Urteile über andere geht! Das ist ja auch einfach, einfacher allemal, als über sich selbst nachzudenken und gar zu dem Schluss zu kommen: Ich bin nicht recht.

 

Ich frage mich dabei immer: Kann ich einem Menschen denn überhaupt helfen, wenn ich ihm sage, du bist verloren, du suchst in der falschen Richtung? Mal vorausgesetzt, ich will ihm dazu Hilfe geben, muss er das nicht erst selbst merken? Muss er nicht erfahren, ich renne gegen die Wand; dort wo ich suche, ist das Leben nicht zu finden; muss einer nicht erst soweit sein?

 

Wie ist denn das in der Erziehung? Haben ihre Kinder auf sie gehört, wenn sie ihnen sagten: Vorsicht, dort ist es gefährlich! Bleib' weg davon, da kannst du zu Schaden kommen! Haben sie ihnen gehorcht? War's nicht meist so: Die Kinder mussten erst auf die Nase fallen, sich erst die Finger verbrennen und die Folgen ihres unbedachten Tuns ernten? Sprechen wir nicht auch davon, dass einer immer erst seine »eigenen Erfahrungen« machen muss? - Im religiösen Bereich soll es anders sein?

 

Oder nehmen wir erwachsene Menschen: Wann wird einer klug? Wenn er das, was er beabsichtigt, bedenkt, wenn er die Konsequenzen abschätzt und möglichen Schaden ermisst? Oder nachdem er's halt getan hat? Nachdem das »Kind in den Brunnen gefallen ist« und die Folgen einem klüger gemacht haben? In Glaubensdingen soll es nicht genauso sein?

 

Immer möchten wir dem eigenen Willen nach handeln! Immer lernen wir besser hinterher! Immer müssen wir selbst darauf kommen: Ich bin verloren!

 

Wie von allein fällt einem ja dabei die Geschichte »Vom verlorenen Schaf« ein: Es ist vielleicht einmal eine ungewöhnliche Sicht dieses Gleichnis', aber musste das Schaf sich nicht erst in der Einöde verlaufen, musste es nicht erst die schreckliche Einsamkeit abseits der Herde erleben, musste es nicht erst Angst und Schrecken empfinden? Hätte es sonst geschrien? Hätte der Hirte es sonst finden können??? - Umgekehrt: Wo hätte in dieser Geschichte das Urteil eines anderen Schafes Platz: Du bist verloren! Das verlorene Schaf beginnt ja erst zu schreien, als es erfährt, wie furchtbar einsam es ist! Ich glaube, das ist es: Unsere Mitmenschen müssen auch erfahren, wie einsam und unerfüllt ein Leben abseits der »Herde« Jesu Christi ist! Das ist der Weg. So kann es geschehen, dass einer von dem gefunden wird, der gekommen ist: »...zu suchen und selig zu machen, was verloren ist«.

Ich sehe da auch unsere Aufgabe als Christen: Nicht zu urteilen und einen anderen für verloren erklären, sondern vorleben, wie befreit, fröhlich und sorglos Menschen sein können, die an Jesus Christus glauben! Das kann neugierig machen. Da wird Interesse geweckt. Da möchte dann vielleicht auch ein anderer genauer wissen, was dieser Glaube ihm schenken kann. Er wird das umso mehr wissen wollen, je tiefer er sich selbst verirrt und auf falschen Wegen verlaufen hat.

 

Nicht Schuld zuweisen ist unser Auftrag, nicht die Verlorenheit der Mitmenschen anprangern, nicht finster und grimmig mit Gericht und Strafe drohen... Strahlen müssen wir Christen mit unserem Leben! Unser Glaube soll anderen zeigen, dass sie den Hirten und die Herde verlassen haben. So werden sie begreifen, wie einsam und verloren sie sind. Nur so!