Die Andacht zum Wochenspruch – Von Manfred Günther – gelesen von Gert Holle
Wochenspruch zur Woche nach dem 16. Sonntag nach dem Trinitatisfest:
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium. (2. Tim. l,10b)
Da werden doch nur Behauptungen aufgestellt! »Dem Tode die Macht genommen«, aber stimmt denn das? Angst vor dem Tod hat doch wohl jeder - ich auch. Ist der Tod dann entmachtet? Übt er nicht vielmehr seine Gewalt aus über uns...gerade jetzt, wo wir diese Andacht gar nicht mehr weiterhören wollen, weil darin vom »Tod« die Rede ist?
Und dann: Gibt es nicht noch einen ganz anderen »Tod« als den, der in uns die Bilder von Sarg und Grab heraufbeschwört? Mir persönlich macht dieser andere Tod noch viel mehr Angst! Es ist der Tod vor dem Sterben!
Dieser Tod greift schon lange mit seinen eiskalten Fingern nach unserem Herzen: Dass wir mit dem Nachbarn zwei Häuser weiter seit Jahren keinen Gruß mehr tauschen, geschweige denn ein Wort wechseln, das hat er bewirkt! Dass es uns seit einiger Zeit einfach nicht gelingt, den Bekannten zu besuchen, der so auf uns wartet - sein Werk! Überhaupt, unsere Starre: Laufen wir nicht schon Jahrzehnte immer im selben Trott? Wann haben wir einmal etwas Neues probiert, vielleicht statt Fernsehen ein Buch gelesen, vielleicht den Ehegatten mit einem Geschenk überrascht oder gar den Gedanken an Gott und den Sinn des Lebens nicht verdrängt? Sind wir wirklich so bewegliche, lebendige Leute?
Regiert nicht der Tod auch in unserer Beziehung zu Gott und der Kirche? Sicher sind wir Mitglied in unserer Gemeinde, aber wie lange schon ruht die Mitgliedschaft, wie lange schon reden wir uns ein, wir müssten am Sonntagmorgen ausschlafen, die Klöße für das Mittagessen machen oder den Frühschoppen einnehmen? Ist es nicht geradezu albern (wenn es nicht so ernst wäre!), dass wir behaupten, wir hätten dazu keine Zeit? Für was alles haben wir Zeit! Mit welchem Geschwätz können wir Stunden zubringen! Bei was für nichtigen Anlässen haben wir jede Menge Sitzfleisch? Aber zum Gottesdienst reicht unsere Zeit nicht? - Hören Sie den Tod lachen?
»Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen«, auch diesem Tod! Es wird alles darauf ankommen, dass wir ihm zutrauen, was hier behauptet wird. Dass Jesus auch den Tod vor dem Sterben besiegen kann, ist und bleibt eben »Evangelium«, »frohe Botschaft«! Er zwingt uns sein Leben nicht auf. Er bietet uns an: Wenn wir etwa den ersten Schritt auf den »bösen Nachbarn« zutun, dann werden wir ein Stück seines Lebens erfahren, dann wird er uns befreien und es wird uns leicht ums Herz. Oder: Wir machen endlich diesen Besuch, vor dem uns so bange ist; das Gefühl hernach wird unbeschreiblich sein, froh und gelöst; was für eine Freude in den Augen des Besuchten! Selbst ein persönlicher Neuanfang wird viel mehr schöne Erlebnisse auslösen als Schlechte. Die Unsicherheit zu Beginn wird bald dem Wissen weichen: Das ist das Richtige; ich hätte schon längst einmal einen Versuch machen sollen!
Und besonders deutlich wird unser Herz beim Kirchgang sprechen: Hören auf die Worte des Lebens, Lob und Dank, Zeit für das Wesentliche... Christus hat dem Tod die Macht genommen! Lassen wir es doch auch bei uns geschehen. Das Leben wartet auf uns, Freude, Freiheit von uns selbst, vom Trott, in dem wir so lange schon gehen, vom Gefängnis des »Immer-so-weiter«. Gezwungen werden wir nicht. Aber, wer wird sich diese »frohe« und frohmachende Botschaft nicht gerne sagen lassen? Und sie ausprobieren! Entreißen wir uns den kalten Fingern des Todes. Tun wir die Leichentücher von uns. Jesus Christus selbst wird uns dabei helfen - jetzt und hier und einmal ewig.