Die Andacht zum Wochenspruch – von Manfred Günther, gelesen von Gert Holle
Wochenspruch zur Woche nach dem 14. Sonntag nach dem Trinitatisfest:
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. (Ps. 103,2)
Vergiss nicht, was Gott dir Gutes getan hat! Ja, wer könnte denn das vergessen? Alle die unverdienten Geschenke - von Anfang unseres Lebens an! (Und schon davor: Wie bevorzugt sind wir doch, im Wohlstand geboren zu sein!) Wer könnte denn das vergessen: Dass wir Eltern haben durften, denen wir eine Gabe Gottes waren, die uns liebten, die uns mit Freude und Stolz groß werden sahen.
Wer könnte denn das vergessen: Dass wir in einer Schule lernen durften, dass wir Spielkameraden und Freunde hatten, dass unsere Talente und Anlagen gefördert und ausgebildet wurden.
Wer könnte denn das vergessen: Wie rasch uns damals eine Lehrstelle angeboten wurde. Wie gut wir in die Welt des Berufes hineingefunden und unseren Platz im Leben erobert haben, der uns gefiel.
Wer könnte vergessen, wieviel Glück uns die erste Begegnung mit unserem späteren Lebensgefährten schenkte, wieviel Zuneigung zwischen uns war, wieviel prickelndes, warmes Gefühl füreinander. Und wieviel ist seitdem zwischen uns gewachsen: Verständnis ohne Worte, Vertrauen, Treue und Gewissheit der Liebe.
Wer könnte vergessen, was er sich mit diesem einen Menschen aufbauen konnte, was man gemeinsam geschaffen hat, was einem gelang, und wie man auch Misserfolge zusammen tragen konnte. Und die Kinder! Welche Geschenke sind uns da zuteil geworden! Kinder, gesund und fröhlich, die wir erziehen, formen dürfen, die uns lieben, die »Mutter«, »Vater« zu uns sagen, die uns brauchen und unsere Zuwendung nötig haben - und die uns so vieles zurückgeben: Freude, Anerkennung, Glück...
Wer könnte vergessen, dass er eine so lange Zeit des Friedens erleben darf und ihm Not und Hunger erspart bleiben?
Dann all die schönen Dinge, die uns umgeben, unser Haus, das Auto, unser ganzer Lebensstandard. Die guten Erlebnisse jedes Tages. Das kleine Ereignis gestern, das uns so viel Spaß gemacht hat. Die Erfahrung des Sonntags: Nicht arbeiten müssen, ausruhen, zu sich selbst kommen.
Wer könnte vergessen, wie er damals so tief unten war, wie ihm der Mut verging, und er am liebsten aufgegeben hätte..., und wie es dann doch einen Weg gab, den man gehen konnte. Wie uns der Freund, die Mutter, der Nachbar, der Partner das entscheidende Wort gesagt haben. Wie uns die Geste der Hilfe wieder zurechtgebracht hat, wo schon alles verloren schien. Wer könnte vergessen, dass er die Krankheit vor Jahren so gut überstanden hat. Die Ungewissheit nach der Operation. Die Schwäche, die Fragen: Wird es wieder, werde ich gesund, bin ich über den Berg? – Und wie es dann wirklich besser wurde! Wie man die Kräfte neu in sich spürte! Wie man aufatmete und diese Last von einem abfiel!
Wer könnte vergessen, wie der Tod unseres Angehörigen uns zu Boden gedrückt hat? Alles schien doch aus zu sein, damals. Der Schlag, als uns zu Bewusstsein kam: Er wird nie mehr sein! Die Tage, Wochen, Monate, in denen wir fast verzweifelt wären. Und schließlich doch wieder Mut, ein erster froher Gedanke, ein Erinnern an unseren Verstorbenen, ohne dass es uns die Tränen in die Augen trieb. Ein wenig Zuversicht, dass es nach dem Abschied weitergeht, ein wenig Hoffnung...
Wer könnte alles das vergessen? Unser Gott und Vater steht hinter alledem. Nicht wir selbst oder unser Verdienst! Darum: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!