Täglich konfrontieren uns die Nachrichten mit Bildern von Kriegen, Verletzten, Toten. Gibt es bei all den Krisen weltweit Wege zum Frieden? Dieser Frage ging Moderatorin Gundula Gause mit Bischof Ackermann und Jean Asselborn nach.
20.09.2024
Von Simone Bastreri
(Trier/bt) – Täglich konfrontieren die Nachrichten mit Bildern aus den Krisenregionen der Welt, mit Schlagzeilen von Toten und Verletzten. Besonders der Krieg in Gaza und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – nur zwei Flugstunden von Deutschland entfern – dominieren hierzulande die politischen Diskussionen. Der Frage, ob „Wege zum Frieden” überhaupt möglich sind, hat sich das Forum Bürgerkirche St. Gangolf in Trier am 18. September gewidmet. Zu Impulsvorträgen und Diskussion eingeladen waren der ehemalige langjährige Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn, und Bischof Stephan Ackermann, elf Jahre lang Vorsitzender der deutschen Kommission Justitia et Pax. Moderiert wurde die hochkarätige Runde vor vollbesetzter Kirche von Nachrichtensprecherin und ZDF-Redakteurin Gundula Gause. Sie betonte zu Beginn, wie wichtig es für sie sei, immer wieder neue Bilder aus der Ukraine für die Nachrichten herauszusuchen, denn es dürfe nicht „selbstverständlich werden”, dass auf dem europäischem Kontinent Krieg geführt werde.
"Putin tritt die UN-Charta mit Füßen"
Sozialdemokrat Jean Asselborn, von 2004 bis 2023 luxemburgischer Außenminister und bis 2013 auch Vize-Premierminister, betonte, diplomatisch seien alle Wege beschritten worden, um Putin von diesem „völlig sinnlosen Krieg” abzubringen. „Putin führt nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen die Charta der UN, gegen die Menschenrechte, gegen die Demokratie. Er tritt die Charta mit Füßen, die Russland selbst nach dem Zweiten Weltkrieg mit auf den Weg gebracht hat“, sagte Asselborn eindringlich. Er warnte, Putin werde nicht an den Grenzen der Ukraine stehenbleiben. „Es ist verlogen, wenn wir glauben, dass der Krieg vorbei wäre, wenn wir unsere Hilfen und Waffenlieferungen beenden. Die Forderung ‚Land gegen Frieden‘ beinhaltet, dass man die völkerrechtliche Annexion eines anderen Landes legitimiert. Wir haben die Pflicht, zu helfen, damit die Ukraine bei Friedensverhandlungen, wenn sie denn kommen, eine möglichst gute Ausgangsposition hat.“
„Frieden ist ein hartes Stück Arbeit“
Ackermann griff das in der Diskussion auf und betonte: „Es geht ja nicht nur um Landverlust, sondern um ein System der Unfreiheit, eine Diktatur, gegen die sich die Ukrainer wehren, in der sie nicht leben wollen.“ Er stelle eine große Anteilnahme in Europa fest; die Menschen spürten, was auf dem Spiel stehe. In seinem Vortrag ging er auf den Untertitel der Veranstaltung „Selig die, die Frieden stiften“ ein. Diese Worte stammten aus der Bergpredigt, seien di „Magna Charta“ des Evangeliums - und könnten auch Nicht-Gläubige inspirieren. Die Betonung liege auf dem Wort „stiften“ – für Frieden müsse aktiv etwas getan werden, man dürfe ihn nicht bloß predigen. „Frieden ist ein hartes Stück Arbeit.” Jesu Aussage, man solle auch die andere Wange hinhalten, wenn man von jemandem geschlagen werde, sei für viele schwer erträglich, schwer zu verstehen. Jesus sei aber nicht naiv gewesen; er habe sich vom Bösen abgegrenzt und Konfrontationen nicht gemieden, erklärte Ackermann. Doch Jesus spreche damit selbst seinen Feinden nicht ihre Menschlichkeit ab. Bei Gewalt nicht mit Gleichem zu antworten, könne Spiralen der Gewalt unterbrechen. Im Nahen Osten sei ein solcher Kreislauf der Gewalt zu beobachten, der sich jetzt im Krieg zwischen Israel und der Hamas erneut Bahn breche. Auch unter Christen gebe es verschiedene Argumentationslinien: jene, die den reinen Pazifismus befürworteten und jene, die einräumten, dass gewisse ausweglose Situationen Gewalt als „ultima ratio” nötig machten. Dazu habe die Bischofskonferenz kürzlich ein Positionspapier herausgebracht. Unter bestimmten Bedingungen könne etwa die Verteidigung eines Landes nötig werden. Die primäre Option müsse immer Gewaltlosigkeit sein; die Verhältnismäßigkeiten und Menschenrechte müssten gewahrt bleiben und es müsse Diskussionen über längerfristige Ziele für die Zeit nach einem Krieg geben.
EU als einmaliges Friedensprojekt
Beide Redner waren sich einig, dass die Europäische Union seit 80 Jahren einen möglichen Weg zum Frieden zeige. Asselborn sagte, die EU sei ein „einmaliges Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg“: eine Gemeinschaft, die auf gemeinsamen Werten basiere und die schwierige, für einzelne Länder kaum lösbare Frage zu Wirtschaft, Klima, Verteidigung gemeinsam angehe. „Seit 80 Jahren leben die Menschen in der EU in Frieden. Wir haben die Verpflichtung gegenüber unseren Nachkommen, dass das auch in den nächsten 80 Jahren so bleibt! Dazu gehören freie Medien, unabhängige Gerichte, die Wahrung der Menschenrechte.” Mit Blick auf die erstarkenden rechtspopulistischen Strömungen forderte Asselborn energisch, es gehörten „diejenigen abgestraft, die diese Errungenschaften zerschlagen wollen!”. Er habe genau wie viele andere die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen in Deutschland mit Ernüchterung zur Kenntnis genommen. Deutschland spiele mit seiner hoch geachteten Verfassung und als stabile Demokratie eine besonders wichtige Rolle. Sein Vertrauen bleibe stark, so Asselborn, dass das „Geschichtsbewusstsein der Deutschen über den Populismus triumphiere”. Die Diskussionen um Migration stellten die EU auf die Probe, doch wenn jedes Land nun wieder Grenzkontrollen einführe, zerstöre das die große Errungenschaft des Schengenraums, in dem die Menschen sich frei bewegen können. „Das mag innenpolitisch ein Zeichen gegen die AfD sein, aber es ist ineffizient und eine Illusion, dass dies 100 Prozent Sicherheit liefern kann.”
So passte das Bild, mit dem Markus Nicolay, Dekan im Pastoralen Raum Trier, die Veranstaltung schloss. Er sei vor Kurzem auf einer Radtour im Dreiländereck zwischen Luxemburg, Deutschland und Belgien gewesen. Ohne Kontrollen oder Zäune habe er Grenzen überschritten, in den Nachbarländern mit Euro bezahlt, sein Handy ohne zusätzliche Gebühren genutzt. Hier schloss sich der Kreis zum Beginn der Veranstaltung und Ackermanns Worten, dass Frieden ein hartes Stück Arbeit bedeute. Frieden und Freiheit nehme man selbstverständlich hin, so Nicolay, doch gerade Christen dürften die Hände nicht in den Schoß legen.