Caritas, KEB und "momentum - Kirche am Center" suchen Freiwillige für das Selbstexperiment „Leben vom Bürgergeld“ während der Fastenzeit.
8.02.2025
Von Ute Kirch
(Neunkirchen/uk) – Über Empfänger von Bürgergeld kursieren immer wieder Vorurteile: Diese ruhten sich aus und vom Geld ließe sich auch ohne Arbeit gut leben, lautet eines. Das wollen die Katholische Erwachsenenbildung Neunkirchen (KEB), der Caritasverband Schaumberg Blies e.V. sowie das Begegnungscafé „momentum – Kirche am Center“ nicht so stehen lassen. Für die bevorstehende Fastenzeit suchen sie daher Freiwillige, die sich vom 5. März bis 8. April 2025 dem Selbstexperiment „Leben mit Bürgergeld“ stellen. Die Fastenzeit lade dazu ein, auf Überflüssiges zu verzichten und den Blick auf das Wesentliche zu richten und so bewusster zu leben, so die Veranstalter. Bei dem Selbstversuch gehe es darum, bewusst auf finanzielle Privilegien zu verzichten und Lebensgewohnheiten zu hinterfragen.
In Deutschland leben laut Bundesagentur für Arbeit derzeit rund 5,5, Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen. 563 Euro erhält ein alleinstehender Erwachsener pro Monat zuzüglich der Kosten für die Miete bis zu einer bestimmten Höhe. Die Idee, wie es ist, mit diesem Budget testweise zu leben, hatte Sozialarbeiterin Lydia Fried vom Caritasverband. „Uns ist klar, dass das Experiment nicht die Realität abbildet“, betont Fried. „Wir wissen, nach vier Wochen ist es vorbei und wir können wieder so leben wie vorher – und haben in der Zeit auch noch Geld gespart. Wir kriegen auch nicht jeden dritten Tag Post vom Jobcenter mit Anschreiben, die wir oft nicht verstehen.“ Die psychische Belastung lasse sich nicht nachempfinden, sagt die Sozialarbeiterin, die sich an einen Kunden erinnert, der eine Panikattacke hatte, als der Vermieter die Miete erhöhte und er zunächst dachte, das Jobcenter träge die Erhöhung nicht mit.
Konsumverhalten reflektieren und tieferes Verständnis für andere Lebensrealität erhalten
Der Sinn des Experiments sei nicht, kurz vor Beginn Kühlschrank und Gefriertruhe voll zu machen, noch schnell vorher zum Friseur zu gehen und so die vier Wochen vergleichsweise sorglos zu leben, sagt KEB-Bildungsreferent Klaus Becker. „Das Ziel ist nicht nur, das eigene Konsumverhalten zu reflektieren, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Lebensrealität von Menschen zu entwickeln, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Es geht darum zu erleben, wie Verzicht und Reflexion zu einem bewussteren und dankbareren Leben führen können – eine spirituelle und gesellschaftliche Auseinandersetzung, die die Fastenzeit als Zeit der Veränderung und Solidarität neu erlebbar macht.“
Auch Lydia Fried will an dem Experiment teilnehmen: „Hole ich mir etwa aus meiner Vorratskammer eine Packung Nudeln, wird diese so abgerechnet, als hätte ich sie mir an dem Tag gekauft.“ Auch ihre Zeitungsabonnements und Zusatzversicherungen wird sie in das Bürgergeld-Budget mit einrechnen. „Jeden Tag fallen mir neue feste Kosten ein, die für mich selbstverständlich geworden sind.“ So ist sie gespannt, bis zum wievielten des Monats ihr Budget reichen und was am Ende alles auf der „Schattenliste“ stehen wird, also Dinge, die sie sich geleistet hat, die sie sich unter Echt-Bedingungen nicht hätte erlauben können. „In den 563 Euro sind 45 Euro für Strom vorgesehen“, rechnet sie vor. Diesen Regelsatz könne sie nur einhalten, weil das Haus gedämmt sei und über eine Photovoltaik-Anlage verfüge. Sozialbauten seien hingegen energetisch oft nicht in einem guten Zustand. Sie kenne Menschen, die gelernt haben, mit dem Bürgergeld auszukommen. „Die Wohnung war kalt, die Armut mit Schuld an gesundheitlichen Problemen, dennoch waren es glückliche Menschen: Sie haben gelernt, auf das Wesentliche im Leben zu achten.“ Eine Eigenschaft, die oft im ewigen Streben nach höher, schneller, weiter verloren gehe.
Auch unter den Gästen des momentums seien Bürgergeld-Empfänger, sagt Gemeindereferentin Katja Groß. Ein Teil von ihnen gehe offen damit um, bei anderen sei Scham zu spüren. „Am Monatsende ist hier mehr Betrieb als am Monatsanfang und das Bedürfnis vieler, hier auch kostenlos ein heißes Getränk zu bekommen, größer“, hat sie beobachtet. „Von Armut Betroffene lassen sich oft Ausreden einfallen, warum sie etwa nicht mit ins Kino oder Restaurant kommen können – irgendwann werden sie nicht mehr eingeladen.“ Armut in Deutschland sei etwas anderes als Armut in Ländern der sogenannten Dritten Welt: „In Deutschland muss keiner verhungern. Armut heißt hier: Mangel an Teilhabe“, sagt die Bezirksvorsitzende der KAB Saar, Christine Steimer.
Begleitet werden die Teilnehmenden von Lydia Fried, Katja Groß und Klaus Becker, die Impulse und Unterstützung während des gesamten Experiments bieten. Den Auftakt bildet eine Informationsveranstaltung am Mittwoch, 5. März um 17 Uhr im momentum. Dabei werden das Konzept, das Haushaltsbudget und die Ziele des Selbstexperiments vorgestellt. „Unser Angebot ist es, mit jedem einen eigenen Fahrplan zu entwickeln“, sagt Becker. Es sei auch möglich, sich nur in einem Teilbereich auf den Selbstversuch einzulassen. Weitere Treffen zur Halbzeit und am Ende sind geplant. Die Teilnahme ist kostenfrei. Mitmachen können Menschen, die noch nicht die Erfahrung gemacht haben, mit Bürgergeld zu leben.
Anmeldung: telefonisch bei der KEB Saarbrücken unter (0681) 9068131, beim momentum unter (06821) 1799567 oder online https://kurzlinks.de/73937-KEBSB