Blickwechsel in der Friedhofsentwicklung

1 Jahr Campus VIVORUM

Eingang - Campus VIVORUM. Foto: Studio Kamenar
Eingang - Campus VIVORUM. Foto: Studio Kamenar

Vor einem Jahr wurde das weltweit erste Experimentierfeld zur Friedhofsentwicklung eröffnet – eine innovative „Ideenbank“ mit großem Zuspruch aus der Fachwelt. In ersten Kommunen entsteht bereits Neues. 

 

18.07.2024

 

(Kassel/tb) - Friedhöfe unterliegen einem Wandel. Demographische Entwicklungen und Trends bei Beisetzungsangeboten fordern Verantwortliche zur Weiterentwicklung ihrer Planungen auf. Das bietet Chancen, das Miteinander in der Gesellschaft zu stärken, denn der Friedhof ist seit jeher ein wichtiger sozialer Ort. Am 29. Juni 2023 wurde der Campus VIVORUM in Süßen (Baden-Württemberg) eröffnet. Als begehbarer Impulsort bietet er Verantwortlichen aus Kommunen und Kirchen seither wertvolle Anregungen für eine zukunftsorientierte Friedhofsentwicklung. Der rege Zuspruch von Städte- und Gemeindetagen und Landeskirchen macht deutlich: Mit seinem vor allem trauerpsychologischen Ansatz trifft der Campus VIVORUM auf einen gesellschaftlichen Bedarf. 

Schon im ersten Jahr fanden über 60 Gruppenführungen statt – mit steigender Tendenz. Vor allem Bürgermeister, Friedhofsverwalter und fachliche Gremien nicht nur aus Deutschland haben ihn seit der Eröffnung besucht, um Anregungen für eine Weiterentwicklung ihrer Friedhöfe zu sammeln. Die hier baulich umgesetzten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis inspirieren dazu, den Friedhof als öffentlichen Raum zu verstehen, ihn neu zu bewerten und entsprechend zu gestalten. Der ca. 6.000 m2 große „Impulsort“ wird ständig weiter entwickelt. 

Der Campus VIVORUM regt unter anderem dazu an, über die Funktion von Beisetzungsorten nachzudenken – und diese als therapeutisch wirksame Trauerorte zu gestalten. Die Initiative „Raum für Trauer“ ist überzeugt: Als „Caring Infrastructure“ der Kommunen können Friedhöfe nicht nur Trauernde besser unterstützen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt nützen.

Erste Kommunen und Kirchen in Baden-Württemberg und Bayern haben bereits damit begonnen, ihre Planungen zur Umgestaltung von Friedhöfen anhand der hier gewonnenen Erkenntnisse zu verändern – zu nennen sind unter anderem Friedhöfe in Amtzell, Ihlingen und Obereschach. 

Günter Czasny (64), Sprecher der Initiative „Raum für Trauer“, ist überzeugt: „Friedhöfe können gerade in Zeiten fragmentierter Gesellschaften wichtiger Ausdruck sozialer Fürsorge und Seelsorge sein. Wenn sie menschen-zugewandt gestaltet sind, können sie durch ihre psychologischen Wirkkräfte ein wichtiger sozialer Ort in der Kommune werden. Denn dann können sie Trauernden helfen, Bürgerinnen und Bürger aus der Einsamkeit herausführen und so auch das soziale Miteinander in Kommunen insgesamt verbessern.“ Dabei spielt er auch auf die gerade erschienene Einsamkeitsstudie der Bundesregierung an. Diese misst sozialen Orten eine besondere Rolle gegen Einsamkeit und damit für den Zusammenhalt in der Gesellschaft bei. Friedhöfe könnten, so Czasny, ein Game Changer sein – therapeutische Orte für Trauernde und ein Halt gebender Begegnungsort für alle.

Hintergrund: Die Initiative „Raum für Trauer“ entstand unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. in Kooperation mit Institutionen, Gewerken, Vereinen und Verbänden der Trauer-, Bestattungs- und Friedhofskultur. Die Initiative stützt sich auf Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Arbeiten zu den Themen Trauer, Trauerverarbeitung und Trost. Die Erkenntnisse werden unter anderem in folgenden Publikationen ausgeführt, die über www.raum-fuer-trauer.de zu beziehen sind: „Acht Thesen zur Trauerkultur im Zeitalter der Individualität“ des Trend- und Zukunftsforschers Matthias Horx, „Der Friedhof als kommunales Erfolgsprojekt der Zukunft – Theorie und Praxis für Entscheider“ mit Artikeln zur am psychologischen Wirkpotential von Beisetzungsorten ausgerichteten Gestaltung zeitgemäßer Friedhöfe. Seine Autorinnen und Autoren sind Experten unter anderem aus Psychologie, Soziologie, Kognitionswissenschaften, Architektur und Landschaftsarchitektur. Das hochwertig gestaltete Büchlein „Weiterreden, weiterleben – wie ein Grab als Trauerort dabei helfen kann“ beschreibt mit einem Vorwort von Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx anhand einer sehr persönlichen Erfahrung, welche positive Wirkung Beisetzungsorte auf Hinterbliebene haben können. Zu den Projekten der Initiative zählt auch die Online-Plattform www.trauer-now.de bzw. @trauernow. Das Familienunternehmen Strassacker, das sich als Kunstgießerei schon seit über 100 Jahren intensiv mit der Trauer- und Erinnerungskultur beschäftigt, hat mit unterschiedlichen Aktionen und Maßnahmen wie auch Forschungsprojekten mit dazu beigetragen, die Initiative zu entwickeln und zu realisieren.