16.04.2025
(Hannover/Celle/(mhd) - Es war eine Wegstrecke von 70 Kilometern und wurde zur Zeitreise von 80 Jahren: In Erinnerung an den so genannten „Todesmarsch“ von KZ-Häftlingen von Hannover-Mühlenberg in das Konzentrationslager von Bergen-Belsen im April 1945 sind Christen am Wochenende vom 11. zum 13. April 2025 einen ähnlichen Weg gelaufen. Ihr „Erinnerungs-Bußgang“ wurde begleitet von Sanitätskräften der Malteser aus Celle. Fazit nach drei Tagen Marsch: Keine medizinischen Vorkommnisse, aber tiefe menschliche Begegnungen.
Norddeutschland, April 1945: Die Front rückt näher, der „Endsieg“ der Nationalsozialisten in weite Ferne. Fast panisch räumen Nationalsozialisten die Außenlager ihrer Konzentrationslager und treiben die Häftlinge in „Todesmärschen“ in die Stammlager zurück. Am 6. und 7. April 1945 mussten rund 4.500 Männer und Frauen unter scharfer Bewachung von Hannover in das Konzentrationslager von Bergen-Belsen marschieren. Unterwegs wurden viele von ihnen ermordet.
Zum Andenken an deren Schicksal hat der inzwischen verstorbene katholische Pfarrer Albrecht Przyrembel 1980 einen Erinnerungs-Bußgang ins Leben gerufen. Seitdem gehen Christinnen und Christen am Wochenende von Palmsonntag – nur unterbrochen durch die Coronajahre – einen ähnlichen Weg wie die Unglücklichen damals. Start ist jeweils am Freitag vor Palmsonntag mit einer Andacht im ökumenischen Kirchencentrum Hannover-Mühlenberg. Drei Tage und rund 70 Kilometer später endet die ungewöhnliche Pilgertour mit einer Andacht auf dem Kriegsgefangenenfriedhof in Bergen-Belsen. Dazwischen liegen mehrere Stationen und Gedenkorte, unter anderem eine Scheune der Pestalozzistiftung in Burgwedel, wo in jenen Tagen 20 Gefangene von SS-Wärtern erschossen wurden, oder die evangelische Kirche in Fuhrberg. In diesem idyllischen Ort verbrachten viele Häftlinge die zweite Nacht ihres Todesmarschs. Etwas anders die Erinnerungspilger: Übernachtet wird am Freitag schon traditionell im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde St. Philippus in Isernhagen-Süd, danach in der Pfarrkirche Maria Hilfe der Christen in Wietze.
Am Samstag und Sonntag immer mit dabei: jeweils zwei Sanitätskräfte der Malteser aus Celle. Seit vielen Jahren schon sind es die gleichen: Ingo Schulz und Ines Rabe begleiten die Gruppe der Pilgerinnen und Pilger am Samstag. Tags darauf bereichern Marc Hinterthaner und Mizgin Kizilyel mit ihrer roten Dienstbekleidung das Bild. In ihrem vierradgetriebenen Sanitätswagen fahren sie den Pilgern von Treffpunkt zu Treffpunkt voraus, um dort notfalls Hilfe leisten zu können.
Dienstältester und auch schon am längsten bei den Maltesern ist Ingo Schulz. 1995 kam er als Zivildienstleistender zu dem katholisch geprägten Hilfsdienst und ist geblieben. Heute leitet der 49-jährige Finanzbeamte den Sanitätsdienst der Malteser in Celle. Wie lange er diese Wallfahrt schon begleitet, weiß Schulz selbst nicht mehr so genau. Rund 30 Jahre dürften es sein.
Seit 2016 ist er gemeinsam mit Ines Rabe dabei. Die 32-jährige Sozialarbeiterin hat die Malteser vor zehn Jahren entdeckt und engagiert sich im Sanitäts- und Hospizdienst, beide zudem beim Herzenswunsch-Krankenwagen.
Warum begleiten Schulz und Rabe diesen Erinnerungsmarsch jedes Jahr erneut? Für Ingo Schulz ist das selbstverständlich. „Ich bekomme auch etwas zurück für diesen Dienst. Zum Beispiel das gute Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“ Es seien inzwischen auch Kontakte zu den Pilgern gewachsen, ergänzt Ines Rabe: „Als wir heute Morgen zur Gruppe stießen, hat uns ein altbekannter Teilnehmer abgeklascht und gesagt: Toll, dass Ihr wieder dabei seid.“
Schon einige Jahre bei den Maltesern und beim Erinnerungs-Bußgang dabei sind auch Mizgin Kizilyel und Marc Hinterthaner und. Der 45-Jährige mit jesidischen Wurzeln und der 31-jährige Softwareentwickler wurden von Wolfgang Schwenzer, dem Verantwortlichen des Erinnerungs-Bußgangs, für ihre Treue sogar schon zu „Ehrenpilgern“ ernannt.
So mischen sich die beiden Malteser bei der Abschlussandacht auf dem Soldatenfriedhof auch ganz selbstverständlich unter die zwölf Pilgerinnen und Pilger und ihre Angehörigen, die dazugekommen sind. Wie alle, so bekommen auch sie einen kleinen Palmzweig samt Osterkerze, die sie später noch in der Malteser-Dienststelle abgeben wollen. Das „Beten mit den Füßen“, wie Wolfgang Schwenzer diesen Bußgang gerne beschreibt, ist für dieses Jahr zu Ende. Medizinische Notfälle waren glücklicherweise nicht zu versorgen, doch schon jetzt ist klar: Im nächsten Jahr werden die Malteser wieder dabei sein.