Zwei von drei weltweit getöteten Helfern 2024 in Palästina ums Leben gekommen

Welttag der humanitären Hilfe

Foto: SOS-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.. Fotograf:Alea Horst
Foto: SOS-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.. Fotograf:Alea Horst

16.08.2024

 

(München / Khan Younis/(ots) - Palästina, insbesondere Gaza, ist für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aktuell das tödlichste Land der Welt. Das teilen die SOS-Kinderdörfer zum Welttag der humanitären Hilfe am 19. August mit. Von 176 Todesfällen unter den Helfern, die von Januar bis Mitte August 2024 weltweit registriert wurden, entfallen laut "Humanitarian Outcomes" 121 auf Palästina. Das sind mehr als zwei von drei Fällen.

 

Boris Breyer, Sprecher der SOS-Kinderdörfer weltweit, sagt: "Humanitäre Helfer riskieren in Gaza Tag für Tag ihr Leben. Ohne ihren Mut und unerschrockenen Einsatz wäre die Situation für die notleidenden Menschen noch katastrophaler. Die Mitarbeiter der SOS-Kinderdörfer versorgen und betreuen Kinder, die im Krieg ihre Eltern verloren haben, sie unterstützen Familien mit dem Notwendigsten, leisten psychologische Hilfe, geben Hoffnung - auch, wenn sie selbst immer wieder in akute Gefahr geraten."

 

Einheimische Helfer machen den allergrößten Teil der Getöteten aus.

Mit Empörung reagiert Breyer auf wiederholte Angriffe auf zivile Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser sowie Hilfstransporte. Er sagt: "Das humanitäre Völkerrecht muss unter allen Umständen gewahrt werden. Wenn Menschen in Not sind, muss sichergestellt sein, dass Helfer ihre Arbeit machen können. Große Sorge macht uns auch, dass die humanitäre Zone in Gaza in den letzten Tagen um 80 Prozent reduziert wurde. Zivilisten drängen sich auf engstem Raum, auch wenn wir es nicht für möglich gehalten hatten: die Situation ist noch schlimmer geworden."

Breyer weist insbesondere auf die Situation der einheimischen Helfer in Gaza hin. Er sagt: "Die meisten von ihnen sind selbst Vertriebene. Auch sie betrauern getötete Freunde oder Familienmitglieder - und machen unermüdlich weiter. Einheimische Helfer sind in hoher Zahl von Angriffen betroffen und machen den allergrößten Teil der verletzten und getöteten Helfer aus." Das stehe in starkem Kontrast zur Medienöffentlichkeit, die vor allem die Angriffe auf internationale Teams thematisiere.

 

"Kriegsflugzeuge griffen an, wir hatten Angst."

Zu den humanitären Helfern der SOS-Kinderdörfer in Gaza gehört Reem Alreqeb, Interimsleiterin der Hilfsorganisation im Land, die über die Evakuierung des SOS-Kinderdorfs in Rafah entscheiden musste. Sie sagt: "Als der Entschluss gefallen war und wir unsere Sachen packten, kamen die Kinder zu mir. Eines bat mich, sein Fahrrad mitnehmen zu dürfen, ein anderes das Kuscheltier, ohne das es nicht schlafen kann. Wir hatten wenig Zeit und der Beschuss ging unaufhörlich weiter. Ich werde nie vergessen, wie ich schließlich zusammen mit den letzten Mitarbeitern das Dorf verließ. Kriegsflugzeuge griffen an, wir hatten Angst, dann hatte auch noch das Auto eine Panne. Letztendlich hat alles geklappt." Aktuell leben Kinder und Betreuer in einem provisorischen Camp in Khan Younis.

 

Hoffnung geben ihr die Momente, in denen Hilfe gelingt und zum Beispiel Kinder wieder mit ihren Eltern vereint werden, sagt Alreqeb. Sie betont: "Wir brauchen mehr Aufklärungskampagnen, damit die Welt mit eigenen Augen sieht, was hier vor sich geht. Der Krieg muss aufhören und die humanitären Nöte der Menschen in Gaza müssen dringend angegangen werden."

 

 

"In Gaza suchst du dir nicht aus, humanitäre Hilfe zu leisten - du musst es tun!"

Interview mit Reem Alreqeb, Interims-Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Gaza

Foto: SOS-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.. Fotograf: Mohammad al BabaReem Alreqeb
Foto: SOS-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.. Fotograf: Mohammad al BabaReem Alreqeb

(Khan Younis/ots) - Zum Welttag der humanitären Hilfe am 19. August würdigen die SOS-Kinderdörfer die Arbeit humanitärer Helfer und Helferinnen wie Reem Alreqeb, Interims-Leiterin der Hilfsorganisation in Gaza. An keinem anderen Ort der Welt ist es derzeit so gefährlich, Hilfe zu leisten. Im Interview schildert Reem Alreqeb ihren Alltag und erklärt, was ihr Hoffnung gibt.

 

Frau Alreqeb, was war der Grund für Ihre Entscheidung, für eine Hilfsorganisation zu arbeiten?

Wir haben in Palästina, insbesondere in Gaza, bereits mehrere Kriege hinter uns, so dass die Menschen hier seit langem auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Als mitfühlender Mensch hast du ständig das Gefühl, helfen zu müssen. Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der seine Zeit nach der Arbeit nutzte, um sich ehrenamtlich in einer kommunalen Organisation zu engagieren, die bedürftige Familien unterstützte. Ich glaube, dass du dir in Gaza nicht aussuchst, ob du humanitäre Hilfe leistest. Du musst es einfach tun.

 

Können Sie Ihren typischen Arbeitstag beschreiben?

Vor dem Krieg wachte ich immer voller Vorfreude auf die Arbeit auf. Ich traf mich mit Menschen, schaute, wie ich ihnen helfen kann, erstellte Berichte, aktualisierte Pläne... Heute wache ich wegen der Hitze in dem Zelt, in dem ich derzeit lebe, viel zu früh auf und gehe in das Büro im Wohnwagenlager. Dort beginne ich mit der Arbeit. Wir sind mit endlosen Hindernissen und Notsituationen konfrontiert, auf die wir trotz der Umstände mit aller Kraft reagieren müssen. Ich verfolge die Kriegsnachrichten und Sicherheits-Updates, überprüfe die Situation in unseren Lagern in Khan Younis und Deir Al Balah, in die unser SOS-Kinderdorf aufgrund der Gefahrensituation umziehen musste. Falls die Internetverbindung stabil ist, versende ich E-Mails.

 

Was sind die größten Herausforderungen?

Die Versorgung unserer Kinder mit allem, was sie brauchen. Das war vor allem in den ersten Tagen extrem schwierig, wo wir noch kein fließendes Wasser und keine Toiletten hatten. Ich frage mich auch, was passieren würde, wenn wir erneut umziehen müssten: Wohin sollen wir gehen?

 

Welcher Moment aus Ihrer Arbeit ist Ihnen in besonderer Erinnerung?

Es tut mir leid, dass ich keine schöne Geschichte zu erzählen habe, aber der einschneidendste Moment seit dem 7. Oktober war der, als es darum ging, ob wir das SOS-Kinderdorf in Rafah aufgrund der Sicherheitsrisiken verlassen müssen. Es lag in meiner Hand, die Entscheidung zu treffen, eine sehr, sehr schwere Entscheidung. Als der Entschluss gefallen war und wir unsere Sachen packten, kamen die Kinder zu mir. Eines bat mich, sein Fahrrad mitnehmen zu dürfen, ein anderes das Kuscheltier, ohne das es nicht schlafen kann. Wir versuchten, alles so gut es ging zu ermöglichen, aber das war nicht einfach: Wir hatten wenig Zeit und der Beschuss ging unaufhörlich weiter. Ich werde nie vergessen, wie ich schließlich zusammen mit den letzten Mitarbeitern das Dorf verließ. Kriegsflugzeuge griffen an, wir hatten Angst, dann hatte auch noch das Auto eine Panne. Wir warteten voller Panik darauf, dass es wieder funktionierte. Letztendlich hat alles geklappt.

 

Wie gelingt es Ihnen, weiterzumachen und die Hoffnung nicht zu verlieren?

Ich weiß, dass wir vielen Menschen in Not helfen, vor allem unbegleiteten und von ihren Eltern getrennten Kindern. Immer wieder gelingt es uns auch, Kinder wieder mit ihren Eltern oder Verwandten zusammenzuführen. Diese kleinen Momente motivieren uns und geben uns neue Kraft.

 

Was kann weltweit getan werden, um die humanitären Bemühungen in Gaza zu unterstützen?

Ich habe oft das Gefühl, dass die Menschen außerhalb Gazas nicht verstehen, in welcher Situation wir uns befinden. Wir brauchen mehr Aufklärungskampagnen, damit die Welt mit eigenen Augen sieht, was hier vor sich geht. Der Krieg muss aufhören und die humanitären Nöte der Menschen in Gaza müssen dringend angegangen werden.