Vertreter aus Politik, Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft haben beim Empfang des Katholischen Büros Saarland mit den Bischöfen von Speyer und Trier über Wege zu mehr Solidarität und Zusammenhalt diskutiert.
12.09.2024
Von Ute Kirch
(Saarbrücken/Trier/Speyer/uk) - Wie können sich Kirche und Politik in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft für Solidarität, Zusammenhalt und Menschenwürde jedes Einzelnen stark machen? Diese Frage hat im Mittelpunkt des Willi-Graf-Empfangs am 10. September gestanden, zu dem das Katholische Büro Saarland seit 2003 alljährlich Menschen aus Politik, Gesellschaft, Kirchen, Wirtschaft und Medien einlädt. Rund 250 Gäste waren der Einladung in die Kirche der Jugend eli.ja gefolgt. Das Katholische Büro im Saarland mit Sitz in Saarbrücken vertritt die Bistümer Speyer und Trier bei der saarländischen Landesregierung, dem Landtag, Gewerkschaften, Verbänden und anderen Institutionen.
Die Themen Migration und Sicherheit polarisierten – nicht zuletzt wegen des Attentats in Solingen durch einen Geflüchteten, sagte die Leiterin des Katholischen Büros Saarland, Ordinariatsdirektorin Katja Göbel und fragte: „Wie können wir Sicherheit gewährleisten, ohne unsere Menschlichkeit zu verlieren?“ Schließlich gelte es, die Würde jedes Menschen jederzeit zu wahren. Sie plädierte dafür, Integrationsangebote auszubauen und Unterstützung anzubieten, aber auch klare Erwartungen zu formulieren. Es müssten Strukturen geschaffen werden, die sowohl den Geflüchteten als auch der einheimischen Bevölkerung gerecht würden. „Lassen wir uns nicht von Angst und Misstrauen leiten, sondern von der Liebe, die Jesus uns vorgelebt hat, und der unantastbaren Würde eines jeden Menschen. So können wir eine Gesellschaft schaffen, die sicher und zugleich barmherzig ist.“
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sieht „eine aufgeheizte Stimmung“ in Deutschland und warnte vor Gefahren für die Demokratie: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir die Frage, wohin sich die Gesellschaft entwickelt, nicht mehr nur politisch bestimmen können. Da ist auch die Zivilgesellschaft und jeder einzelne gefragt, seinen Beitrag zu leisten.“ Extreme Gruppierungen versuchten den Eindruck zu erwecken, Deutschland sei ein Unrechtsstaat, in dem nichts mehr gesagt werden dürfe und der deswegen überwunden werden müsse. „Das halte ich für gefährlich und falsch: Man kann in diesem Land sagen, was man will. Man muss gelegentlich aber auch damit rechnen, dass es Widerspruch gibt“, sagte die Regierungschefin.
Theaterstück: „Wie ein Komet, der zweimal einschlägt“
Im Mittelpunkt des Empfangs stand das Theaterstück „Wie ein Komet, der zweimal einschlägt“; der Titel ist angelehnt an das Lied von Udo Lindenberg und Apache 207. 24 Schülerinnen und Schüler mit und ohne Fluchterfahrung des bischöflichen Willi-Graf-Gymnasiums Saarbrücken sowie der beiden Koblenzer berufsbildenden Schulen Carl-Benz und Julius-Wegeler haben das Stück gemeinsam mit Regisseur Marc-Bernhard Gleißner erarbeitet. Es dreht sich um die Frage, was sie tun würden, wenn ein Komet auf die Erde zurast und droht, alles zu vernichten. Dabei fließen die persönlichen Schicksale und Biografien der jungen Schauspieler*innen authentisch mit ein, etwa die Angst davor, abgeschoben zu werden. „Das Ende der Welt ist viel weniger schlimm, als die Angst zu haben, ständig fliehen zu müssen“, sagt Navid aus Afghanistan. Auch Abolfazl aus dem Iran musste schon mehrfach um sein Leben bangen: Im Boot auf dem Mittelmeer und beim Brand des Flüchtlingslagers auf Lesbos. „Wer einmal ein Camp voller Menschen hat brennen sehen, der kann auch diesen Planeten brennen sehen“, meint er. Doch was, wenn sie den Einschlag überleben? Welche Gesellschaft wollen sie dann aufbauen? Sie wollen selbst einschlagen wie ein Komet, der einst der wüsten Urzeit-Erde Wasser brachte und somit Leben schuf. Das drücke auch der Song aus, bei dem Udo Lindenberg und Apache 207 zwei unterschiedliche Musikrichtungen in Deutschland verbinden, sagt Gleißner: „Der Song ist ein Statement für die Verbindung von Deutschrock und Hip-Hop, von Neuem und Altem und dass beides zusammen etwas Neues hervorbringen kann.“
„Das Stück hat mich berührt“, sagte Ministerpräsidentin Rehlinger. Es gehe darum, der aufgeheizten Stimmung etwas entgegenzusetzen, was das Menschliche und Positive ausdrücke: „Es geht darum zu zeigen, was kann uns Vielfalt bringen, wie kann sie uns bereichern?“, sagte sie.
Plädoyer für interreligiösen Dialog
Der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann plädierte in der anschließenden Diskussion für einen verstärkten Austausch zwischen den Religionen in Deutschland. Dafür bedürfe es öffentliche Räume. „Es macht keinen Sinn, das Konfessionelle aufzulösen und in die Hinterhöfe zu verbannen“, sagte er. Er sprach sich zudem für den Erhalt eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichtes aus, um sprachfähig für den Dialog zu werden. „Sprachfähig kann ich nur werden, wenn ich meine eigene Religion, meine eigene Herkunft, meine eigene Überzeugung kenne oder mich mit ihr auseinandersetze“, so Wiesemann.
Auf die Frage, wie Kirche in Deutschland wieder Strahlkraft gewinnen könne, sagte der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann, es komme darauf an, dass die frohe Botschaft des Glaubens überspringe: „Die Strahlkraft hängt auch davon ab, dass es Menschen gibt, deren Leben durch das bereichert werden, was sie glauben. Die zeigen, dass sie dadurch froh und hoffnungsstark sind.“ Er sprach sich dafür aus, darauf zu schauen, was es an Angeboten und Projekten gebe, auch wenn dieser vielleicht kleiner würden oder sich veränderten: „Es ist nicht alles, was wir früher für selbstverständlich genommen haben, auch wirklich selbstverständlich.“
Für das Catering war die Hauswirtschaftsklasse der Willi Graf-Realschule Saarbrücken verantwortlich. Musikalisch gestaltet wurde der Abend von der Musikklasse des Gymnasiums Johanneum in Homburg.