Später in Rente: Großmütter in Holland arbeiten auf Kosten ihrer Töchter

EPoS Economic Research Center berichtet

Yasemin Özdemir, EPoS Economic Research Center / Foto: Yasemin Özdemir
Yasemin Özdemir, EPoS Economic Research Center / Foto: Yasemin Özdemir
  • Folgewirkungen für drei Generationen erstmalig belegt
  • Ökonomen untersuchen Rentenreform in den Niederlanden

 

16.07.2024

(Bonn, Mannheim/epos) -- Die Reform des Rentensystems wirkt sich in den Niederlanden auf mehrere Generationen aus: Für jede Stunde, die Großmütter länger berufstätig bleiben, arbeiten ihre erwachsenen Töchter mit kleinen Kindern 40 Minuten weniger. Die Folge: Geschlechtsspezifische Unterschiede in Arbeitsstunden und Löhnen nehmen innerhalb von Familien und in der Gesellschaft insgesamt zu. Zudem wirkt sich die Rentenreform auf die schulischen Leistungen der Kinder aus. Diese Ergebnisse veröffentlicht das EPoS Economic Research Center der Universitäten Bonn und Mannheim in dem Diskussionspapier „Spillover Effects of Old-Age Pension across Generations: Family Labor Supply and Child Outcomes“. 

Angesichts alternder Bevölkerungen haben viele OECD-Länder ihr öffentliches  Rentensystem reformiert. Ziel ist, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger erwerbstätig bleiben. „Unsere Studie zeigt, dass solche Reformen des Rentensystems gravierende Auswirkungen für alle   Familienmitglieder haben können“, sagt Yasemin Özdemir vom EPoS Economic Research Center. „Wir belegen zum ersten Mal in einer umfassenden Untersuchung, welche Folgen eine Rentenreform für drei Generationen innerhalb von Familien hat.“

Die niederländische Rentenreform aus dem Jahr 2006 macht es weniger attraktiv, in den Vorruhestand zu gehen. Mit Hilfe umfassender behördlicher Bevölkerungsdaten haben die Wirtschaftsforscher die Auswirkungen dieser Reform auf folgende Generationen untersucht.

Rentenreform “bestraft” indirekt berufstätige Töchter

Die Forscher stellen fest, dass die Erhöhung der Arbeitszeit von Großmüttern dazu führt, dass ihre Töchter mit kleinen Kindern weniger arbeiten. Der Grund: Berufstätige Frauen werden oft von ihren Müttern bei der Betreuung ihrer Kinder unterstützt. „Die Reform führt also dazu, dass sich die so genannte ‚Child Penalty‘, also Erwerbseinbußen durch die Elternschaft, noch verstärkt“, sagt Özdemir. Nach der Geburt ihrer Kinder nehmen Arbeitszeit und Verdienst von Frauen mehrere Jahre lang ab. Durch die Reform vergrößert sich die geschlechtsspezifische Kluft innerhalb von Familien sowie in der Gesellschaft insgesamt, was Einkommen, Karriere und Rentenbezüge anbelangt.

Folgen für Enkel variieren nach Altersgruppe und Geschlecht

Die Ökonomen untersuchten außerdem die Auswirkungen auf die Kinder und legten dafür die Ergebnisse einer Prüfung am Ende der Grundschule zugrunde. Diese entscheidet darüber, auf welche weiterführende Schule die Kinder anschließend gehen. Ergebnis: Die Rentenreform wirkt sich auch auf die schulischen Leistungen der jüngsten Generation aus. Die Folgen sind je nach Altersgruppe und Geschlecht unterschiedlich: Kleine Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren, die aufgrund der Reform mehr Zeit mit ihren Müttern statt mit ihren Großmüttern verbringen, zeigen bessere Leistungen. In dieser Altersgruppe verbessern sowohl Jungen als auch Mädchen ihre Ergebnisse und damit ihre Chancen, für die Vorbereitung auf eine akademische Ausbildung empfohlen zu werden. Allerdings waren die Leistungen älterer Jungen zwischen acht und zwölf Jahren schlechter. Diese Kinder verbringen nach Schulschluss mehr Zeit in Betreuungseinrichtungen oder unbeaufsichtigt, während ihre Großmütter länger arbeiten.

Allen Familienmitglieder gerecht werden: Kinderbetreuung ist zentral

„Leider haben Reformen manchmal unbeabsichtigte Nebenwirkungen“, sagt Özdemir. „Die von uns belegten negativen Folgen für Frauen mit Kindern könnten zumindest teilweise vermieden werden. Dafür ist die Qualität der Kinderbetreuung ausschlaggebend: Reformen, die den Renteneintritt hinauszögern, müssten mit hochwertigen Angeboten für die Kinderbetreuung kombiniert werden. Dadurch kann ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass Großeltern weniger Zeit mit ihren Enkeln verbringen. Das versetzt Mütter in die Lage mit unverminderter Arbeitszeit berufstätig zu bleiben, ohne dass ihre Kinder darunter leiden. Ein solches Maßnahmenbündel kann dazu beitragen, die unbeabsichtigten Auswirkungen von Rentenreformen für alle Generationen möglichst gering zu halten.“

 

******************

Das vorgestellte Diskussionspapier ist eine Publikation des Sonderforschungsbereichs (SFB) Transregio 224 EPoS. Die vollständige Studie finden Sie hier: https://www.crctr224.de/research/discussion-papers/archive/dp403

Eine Liste aller Diskussionspapiere des SFB finden Sie hier: https://www.crctr224.de/research/discussion-papers

Die Autorinnen
Katja M. Kaufmann, Professorin für Volkswirtschaftslehre, Universität Bayreuth, CESifo, HCEO, IZA und Mitglied des EPoS Economic Research Center
Yasemin Özdemir, Postdoktorandin, Abteilung Volkswirtschaftslehre, Universität Bayreuth und Mitglied des EPoS Economic Research Center 
Han Ye, Juniorprofessorin für Volkswirtschaftslehre, Universität Mannheim, IZA, ZEW  und Mitglied des EPoS Economic Research Center

Der Sonderforschungsbereich Transregio 224 EPoS 
Der 2018 eingerichtete Sonderforschungsbereich Transregio 224 EPoS, eine Kooperation der Universität Bonn und der Universität Mannheim, ist eine langfristig angelegte Forschungseinrichtung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. EPoS befasst sich mit drei zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen: Wie kann Chancengleichheit gefördert werden? Wie können Märkte angesichts der Internationalisierung und Digitalisierung der Wirtschaftstätigkeit reguliert werden? Und wie kann die Stabilität des Finanzsystems gesichert werden?

 

 

AUSTAUSCH: Erfahrungen und Meinungen

Kommentare: 0

Autorin: Yasemin Özdemir, EPoS Economic Research Center; zusammengestellt von Gert Holle - 16.07.2024