Künstliche Intelligenz: Relevanz von Digitalkompetenz & kritischem Denken steigt

Studie der Uni Hohenheim zeigt: KI führt zu neuen Anforderungen an die Menschen | Handlungsempfehlungen für Bildungseinrichtungen und Arbeitgeber:innen

 

29.08.2024

 

(Stuttgart/uh) - Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Bedeutung von grundlegenden menschlichen Kompetenzen − von der Bildung über den Beruf bis hin zum privaten Leben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie unter Leitung der Universität Hohenheim in Stuttgart. Danach gewinnen methodische Basiskompetenzen wie kritisches Denken und Problemlösungskompetenz stark an Bedeutung. Auch die Digitalkompetenz wird immer wichtiger, während die Relevanz von Fremdsprachenkenntnissen abnimmt. Soziale Basiskompetenzen bleiben weitgehend stabil. Ein Whitepaper fasst die Ergebnisse zusammen und gibt Empfehlungen, wie die Erkenntnisse in Bildungsprogramme und Arbeitsorganisation eingebaut werden können. Es ist hier abrufbar: https://doi.org/10.17605/OSF.IO/3925T 
 
Künstliche Intelligenz beeinflusst mittlerweile sämtliche Lebensbereiche, sei es im Beruf, im privaten Umfeld oder auch in der Bildung. Sprachgesteuerte Assistenzsysteme wie Alexa, Siri und Cortana oder Computer Vision zum Entsperren von Smartphones sind nur einige Beispiele, die zu einer immer häufigeren Nutzung von KI-Systemen im Alltag führen. In jüngster Zeit finden zudem sogenannte generative KI-Systeme wie ChatGPT oder GeminiAI immer größere Verbreitung.
 
„Künstliche Intelligenz zieht in alle Lebensbereiche ein und verändert sie“, so Studienleiter Prof. Dr. Henner Gimpel von der Universität Hohenheim. „Dabei dient Künstliche Intelligenz derzeit vorrangig als unterstützendes Werkzeug“, erklärt der Experte. „Jedoch zeichnet sich ab, dass KI in Zukunft vermehrt Tätigkeiten zu einem großen Teil oder sogar ganz übernehmen wird. Diese neuen Möglichkeiten verändern die erforderlichen Kompetenzen von Menschen, die zunehmend mit KI zu tun haben.“
 
 
Wie verändert sich die Bedeutung von Basiskompetenzen im Zeitalter von KI? 
 
Doch welchen Einfluss hat dies auf die Fähigkeiten der Menschen, den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden? Wie sollten Bildungseinrichtungen, Arbeitgeber:innen und die Gesellschaft insgesamt auf die Veränderungen reagieren? Diesen Fragen sind Forschende vom Fachgebiet Digitales Management an der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Informationsmanagement (FIM) und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) nachgegangen.
 
Ihr Augenmerk galt den sogenannten Basiskompetenzen, die oft auch als Schlüsselkompetenzen bezeichnet werden. „Gemeint ist damit eine Kombination aus Fertigkeiten, Wissen und Einstellungen, die zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder Aktivität erforderlich sind“, erläutert Dr. Julia Lanzl von der Universität Hohenheim. „Diese Kompetenzen decken alle Lebensbereiche ab und können in vielen verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt werden. Gleichzeitig bilden sie die Grundlage für die Entwicklung weiterer spezifischer, kontextbezogener Fähigkeiten.“
 
„Damit sich Bildungseinrichtungen, Arbeitgeber:innen und Individuen auf die Veränderung einstellen können, müssen sie wissen, wie sich die Bedeutung einzelner Basiskompetenzen durch KI verändern wird“, sagt Frederik Schöttl, Doktorand im Fachgebiet Digitales Management. „Ein gutes Prognose-Tool ist eine sogenannten Delphi-Studie, bei der die Befragten immer wieder mit den Einschätzungen der anderen Teilnehmenden konfrontiert werden und diese bewerten.“ So entstand ein Meinungsbild von 34 Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis, die sich entweder innerhalb der Forschung oder dem individuellen Beruf intensiv mit Kompetenzen und/oder KI beschäftigt haben.
 
 
Methodische Basiskompetenzen gewinnen an Bedeutung
 
Demnach werden methodische Basiskompetenzen wie kritisches Denken, Entscheidungskompetenz, analytisches Denken und Problemlösungskompetenz durch die zunehmende Nutzung von KI an Wichtigkeit gewinnen. „KI kann viele Aufgaben automatisieren, aber die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen und kritisch zu hinterfragen, bleibt eine menschliche Domäne“, analysiert Frederik Schöttl die Studienergebnisse. „Die Menschen müssen in der Lage sein die Ergebnisse von KI-Systemen auf ihre Korrektheit und Glaubwürdigkeit zu prüfen. Aufgrund der ‚Black-Box‘-Natur vieler KI-Systeme und der generativen KI-Technologien wird besonders das kritische Denken immer wichtiger.“
 
 
Steigende Relevanz von Digitalkompetenzen, aber Fremdsprachen weniger wichtig

Eine zunehmende Bedeutung zeigt sich auch bei der Digitalkompetenz: „In einer von KI geprägten Welt ist es unerlässlich, digitale Technologien zu verstehen und anzuwenden“, sagt Prof. Dr. Gimpel. „Die Fähigkeit digitale Werkzeuge und Technologien effektiv zu nutzen, wird in nahezu allen Lebensbereichen unerlässlich. Dies könnte bedeuten, dass die Digitalkompetenz in Zukunft spezialisierter und die Fähigkeit zur KI-Nutzung zu einer eigenständigen Kompetenz wird.“
 
Die Expert:innen in der Studie kommen jedoch auch zu dem Schluss, dass Fremdsprachenkenntnisse an Bedeutung verlieren. „KI-Technologien sind zunehmend in der Lage, Übersetzungen und sprachliche Kommunikation zu übernehmen, wodurch der Bedarf an traditionellen Fremdsprachenkenntnissen sinkt“, so Mike Possin, wissenschaftliche Hilfskraft. „Nichtsdestoweniger ist es aktuell immer noch nötig, das Ergebnis einer KI-generierten Übersetzung zu überprüfen.“
 
 
Soziale Basiskompetenzen bleiben weitgehend unbeeinflusst
 
Soziale Basiskompetenzen wie Fähigkeit zur Empathie, Kommunikation und Zusammenarbeit bleiben weitgehend stabil in ihrer Bedeutung. „Menschliche Interaktionen sind nur in geringem Maße durch KI ersetzbar“, erklärt Dr. Lanzl. „KI kann hier zwar in einigen Aspekte unterstützen, aber echte menschliche Verbindungen und das Verständnis emotionaler und sozialer Kontexte sind zumindest bisher schwer zu automatisieren.“
 
Eine Ausnahme bilde die Ethik- und Kulturkompetenz: „Sie gewinnt an Relevanz, da die Notwendigkeit steigt moralische Normen und Werte im Umgang mit KI zu hinterfragen und zu überwachen.“
 
 
Handlungsempfehlungen
 
„Die zunehmende Verbreitung von KI erhöht die Relevanz von Basiskompetenzen – dessen sind sich die Expert:innen aus Praxis und Wissenschaft einig, die an unserer Delphi-Studie teilgenommen haben“, fasst Prof. Dr. Gimpel zusammen. „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur spezifische und kontextbezogene Kompetenzen zu fördern, sondern auch die grundlegenden Basiskompetenzen zu vermitteln, insbesondere im Bildungsbereich.“
 
Aus Sicht der Forschenden sind daher Bildungseinrichtungen, Arbeitgeber:innen und Politik gefordert, ihre Programme und Strategien anzupassen, um den Herausforderungen des KI-Zeitalters gerecht zu werden: Bildungseinrichtungen sollten in ihren Lehrplänen Basiskompetenzen stärker berücksichtigen und systematisch fördern. Soziale Basiskompetenzen sowie Ethik- und Kulturkompetenzen sind für Arbeitgeber:innen bei der Auswahl und Mitarbeiterentwicklung wichtig. Gleichzeitig sollten Schulungsprogramme einen starken Fokus auf Digitalkompetenzen und kritisches Denken legen, um auf die Zusammenarbeit mit KI-Systemen vorzubereiten.
 
 
HINTERGRUND: Delphi-Studie
 

Eine Delphi-Studie ist eine wissenschaftliche Methode zur Erhebung von Expertenmeinungen zu einem bestimmten Thema. Dabei werden mehrere Runden von (Online-)Befragungen durchgeführt, bei denen die Teilnehmenden zuerst auf Basis ihrer individuellen Expertise Ansichten äußern und dann mit dem anonymisierten Feedback der anderen konfrontiert werden. Ziel ist einen Konsens oder eine Konvergenz der Meinungen zu erreichen oder zumindest die Gründe für die Divergenz zu verstehen.
 
 
HINTERGRUND: DeLLFi und ABBA
 

Die Studie wurde durch zwei Projekte an der Universität Hohenheim ermöglicht, die digitale und analoge Lehre ideal verzahnen wollen:
 
Ziel von DeLLFi ist, eine kompetenzorientierte, digital unterstützte Lehre als festen Bestandteil der Lehre in Hohenheim zu etablieren. Die acht Maßnahmenpakete des Projektes „Digitalisierung entlang Lehren, Lernen und Forschen integrieren“ werden gefördert von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.
 
Ziel von ABBA ist es, Wirtschaftswissenschaftler:innen die notwendigen Kompetenzen für die Bewertung und Integration von Technologie in betriebliche Prozesse und Entscheidungen zu vermitteln. Das Projekt „AI for Business | Business for AI“ wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und mehrere beteiligte Länder gefördert.

 

Text: Stuhlemmer 
 
Weitere Informationen
Whitepaper https://doi.org/10.17605/OSF.IO/3925T
 
 


Autor: Universität Hohenheim / Stuhlemmer; zusammengestellt von Gert Holle - 29.08.2024