Charlotte Bruns widmet sich der Stereofotografie

Foto: Büchner-Verlag
Foto: Büchner-Verlag

18.11.2024

 

Das Sehen stereofotografischer Bilder – ein Massenmedium um 1900 und eine frühe Form der ›Virtual Reality‹ – unterliegt je nach Gebrauchsweise unterschiedlichen Organisationsformen. Gemeinsam ist den bildmedialen Seherfahrungen von solchen Raumbildern jedoch, dass sie von einer Versetzung in den Bildraum geprägt sind, sie aber gleichsam medial-künstliche Erfahrungen bleiben:

Einerseits ist das stereofotografische Raumbild eine perfektionierte visuelle Wirklichkeitsillusion, andererseits kann im Raumbilder-Sehen das Dargestellte nur kulissenhaft betrachtet werden und bleibt den anderen Sinnen unzugänglich. Auf diese Weise wird der leiblichen und synästhetischen Erfahrung im Raumbilder-Sehen stets Grenzen gesetzt.

 

Charlotte Bruns widmet sich eingehend dem stereoskopischen Raumbilder-Sehen, dessen immersiven Potenzialen und den gesellschaftlichen Gebrauchs- und Wirkungsweisen dieser Bildmedientechnik. Je spezifische Apparaturen und Sehtechniken zur dreidimensionalen Wahrnehmung des Raumbildes, Konventionen der Gestaltung und soziale Rahmungen der Betrachtung ermöglichen es Raumbildern, räumlich Fernes, zeitlich Vergangenes, moralisch Verbotenes und epistemisch Verschlossenes zu vergegenwärtigen.

 

Charlotte Bruns studierte Kunstwissenschaft und Kulturwissenschaften an der Universität Bremen, der Université Toulouse–Jean Jaurès und der Technischen Universität Dortmund. An der philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz, an der sie am Institut für Medienforschung als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist, wurde sie 2021 zum Thema »Raumbilder und ihre Gebrauchsweisen. Zur Organisation des Sehens in der Stereofotografie« promoviert.

 

Charlotte Bruns

Raumbilder und ihre Gebrauchsweisen

Zur Organisation des Sehens in der Stereofotografie

288 Seiten, 15,0 x 22,0 cm, gebunden mit Fadenheftung, zahlreiche Farb- und Schwarzweißabbildungen

ISBN 978-3-96317-325-7 (Print)

40,00 € (Print)

ISBN 978-3-96317-882-5 (ePDF)

32,00 € (ePDF)

 

 

Virtuelle Illusionen um 1900: Charlotte Bruns‘ fesselnde Analyse der Stereofotografie

 

Das Buch Raumbilder und ihre Gebrauchsweisen: Zur Organisation des Sehens in der Stereofotografie von Charlotte Bruns ist eine bemerkenswerte wissenschaftliche Untersuchung, die ein faszinierendes Thema aus der Mediengeschichte aufgreift. Die Autorin beleuchtet die Stereofotografie, ein um 1900 populäres Medium, das als frühe Form der „Virtual Reality“ verstanden werden kann. Bruns analysiert nicht nur die technischen Aspekte der Stereofotografie, sondern auch die gesellschaftlichen, kulturellen und ästhetischen Implikationen des Sehens dieser sogenannten „Raumbilder“.

 

Kernthemen und Erkenntnisse:

 

  1. Immersion und Illusion: Stereofotografie schafft eine visuelle Illusion von Dreidimensionalität, versetzt Betrachter in eine scheinbar greifbare Welt, bleibt jedoch eine mediale, künstliche Erfahrung. Diese Grenzen der körperlichen und synästhetischen Wahrnehmung durch Stereobilder stehen im Fokus von Bruns' Analyse.
  2. Historische Perspektive: Die Entwicklung der Stereofotografie wird im Kontext technischer Innovationen und sozialer Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet. Bruns zeigt, wie Stereofotografie nicht nur ein technologisches Phänomen, sondern ein kulturelles war, das tief in die Wahrnehmungsgewohnheiten der damaligen Zeit eingebettet ist.
  3. Gebrauchsweisen: Die Analyse erstreckt sich auf verschiedene Gebrauchsweisen, wie etwa die Dokumentation von Alltags- und Fantasiewelten, moralisch-humoristische Darstellungen und den Einsatz in wissenschaftlichen oder propagandistischen Kontexten. Diese Vielfalt zeigt, wie Raumbilder epistemisch Verschlossenes und moralisch Verbotenes visualisieren konnten.
  4. Technik und Wahrnehmung: Die Rolle der Apparaturen und spezifischer Betrachtungstechniken wird detailliert untersucht, insbesondere wie sie das Raumerleben beeinflussen und einschränken. Die Interdependenz von Technik und Wahrnehmung sowie die ikonische Differenz des Stereobildes werden kritisch reflektiert.
  5. Kulturelle Dimension: Bruns widmet sich auch den sozialen Rahmenbedingungen der Betrachtung, etwa den moralischen oder politischen Kontexten, und zeigt, wie diese das Seherlebnis prägen. Sie hebt die ästhetischen und medienkulturellen Unterschiede zwischen Alltagsfotografie und Stereofotografie hervor.

 

Besonderheiten des Buches:

 

  • Interdisziplinärer Ansatz: Das Werk verbindet Medienforschung, Kunstwissenschaft und Kulturgeschichte zu einer umfassenden Analyse.
  • Anschauliche Darstellung: Zahlreiche Abbildungen – farbig und schwarz-weiß – machen die theoretischen Konzepte visuell greifbar.
  • Verständlicher Stil: Trotz wissenschaftlicher Tiefe bleibt das Buch zugänglich für ein breiteres Publikum.

 

Relevanz und Bedeutung:

Das Buch ist sowohl für Fachleute aus der Medienwissenschaft als auch für Interessierte an der visuellen Kultur und Technikgeschichte wertvoll. Es beleuchtet die Wurzeln moderner medialer Erfahrungen und zeigt, wie tief die Stereofotografie in die kulturelle Wahrnehmung des 19. und 20. Jahrhunderts eingebettet war.

Wer sich für die Schnittstellen von Technik, Kunst und Wahrnehmung interessiert, findet in Charlotte Bruns' Arbeit einen wertvollen Beitrag zur Medien- und Kulturgeschichte. - Gert Holle, Herausgeber und leitender Redakteur von "WIR IM NETZ - Kultur und Glaube Aktuell" / www.wirimnetz.net

 

 


Autor: Büchner Verlag; zusammengestellt von Gert Holle - 18.11.2024