Sport: ein starker Player für die Gesellschaft? - 5 erhellende Perspektiven

Was leistet Sport für die Gesellschaft? Was können Sportvereine bewegen? Und was kann Kirche vom Sport lernen?

v.l.: Dr. Benjamin Haar (Geschäftsführer, Sportvereinigung Feuerbach 1883 e.V., Stuttgart), Dr. Wolfgang Fritsch (Vorstandsmitglied, Landesruderverband Baden-Württemberg e.V., Stuttgart), Sonja Carle (Vorsitzende, Württembergische Sportjugend, Württembergischer Landessportbund e.V. (WLSB), Stuttgart), Moderatorin: Kathinka Kaden (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt Stuttgart (KDA)), Andreas Felchle (Präsident, Württembergischer Landessportbund e.V. (WLSB), Stuttgart), Florian Güntert (Fanprojekt Stuttgart e.V.);
© Giacinto Carlucci

 

Im Rahmen der diesjährigen Michaelisakademie werfen Andreas Felchle, der Präsident des Württembergischen Landessportbunds, Sonja Carle, die Vorsitzende der Württembergischen Sportjugend, der Sportsoziologen Dr. Wolfgang Fritsch, der Geschäftsführer der Sportvereinigung Feuerbach e.V., Dr. Benjamin Haar, und Florian Güntert vom Fanprojekt Stuttgart e.V. ihre Scheinwerfer auf die relevanten Aspekte im Zusammenspiel von Sport und Gesellschaft. 

 

21.10.2024

Kirche und Sport – welche Synergien gibt es?

Michaelisakademie 2024

(Bad Boll/eabb) - Die diesjährige Geburtstagsveranstaltung der Evangelischen Akademie Bad Boll am vergangenen Sonntag (29.09.2024) stand ganz im Zeichen des Dialogs zwischen Kirche und Sport – mit Andreas Felchle, Präsident des Württembergischen Landessportbunds e.V., Florian Güntert vom Fanprojekt Stuttgart e.V., dem Geschäftsführer der Sportvereinigung Feuerbach 1883 e.V. Dr. Benjamin Haar und weiteren Podiumsgästen. Akademiepreisträger 2024 ist der TC Dettingen e.V., ein Sportverein mit Vorbildcharakter in der Kinder- und Jugendarbeit. 

 

Kirche und Sport gemeinsam 

Ob die Fußball-EM der Männer oder die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris, das Jahr 2024 wurde durch zahlreiche sportliche Großveranstaltungen bereichert. Am vergangenen Sonntag (29.09.2024) war der Sport auch Thema der diesjährigen Geburtstagsveranstaltung der Evangelischen Akademie Bad Boll. „Denn auch Kirche und Sport hätten längst wie Leib und Seele zusammengefunden, nachdem die Theologie den Leib lange eher als Käfig der Seele missverstanden hätte“, betonte Akademiedirektor Dr. Dietmar Merz in seiner Begrüßung. So gibt es mit Philipp Geißler längst einen Sportbeauftragten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sowie einen Arbeitskreis Kirche und Sport der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), wodurch Studienleiter Dr. Thomas Haas in seiner thematischen Hinführung zu den anschließenden Spotlights die existierenden Verbindungen von Kirche und Sport nochmals bekräftigte. 


Dass Kirche und Sport basierend auf ihren deutschlandweiten Mitgliederzahlen in 2023 – 38,5 Millionen Mitglieder der Christlichen Kirchen zu 28 Millionen Menschen in mehr als 86.000 Sportvereinen – eine vergleichbare Relevanz für die Gesellschaft zugeschrieben werden kann, schlussfolgert Dr. Thomas Haas. Zwischen Kirche und Sport gebe es in vielen grundlegenden, ethischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Fragen Überschneidungen. „Wir müssen – wir wollen – miteinander agieren. Warum nicht also Synergien nutzen?“, so das Fazit von Thomas Haas. 
 

Was kann die Kirche vom Sport lernen?

In den anschließenden Kurzvorträgen wurden mögliche Lernfelder vorgestellt: So sprach Dr. Wolfgang Fritsch, Vorstandsmitglied des Landesruderverbands Baden-Württemberg e.V., über das Enrichment, das Bereichernde des Sportes. „Enrichment ist nicht auf die unmittelbare, direkte Leistungssteigerung ausgerichtet. Es wirkt mittelbar und analog für die Interessensbildung, Reflexion und das Engagement der jugendlichen Sportler, und damit bereichernd für die Sportart und Trainer – und natürlich für die Sportler selbst.“ 
Über die vermeintlichen Schattenseiten des Sportes – Geld und Kommerzialisierung – sprach der Präsident des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) Andreas Felchle. Er betonte, dass am Sport als Event grundsätzlich nichts Negatives sei. Und dass der Sport mit Blick auf diese „riesige Masse an Menschen, die im organisierten Sport beieinander sind, natürlich ein Anrecht darauf hat, auch materiell unterstützt zu werden.“ Allerdings seien die Grenzwertigkeiten erreicht, „wenn aus der Eventisierung des Wettkampfsports Starkult wird“, „wenn aus den Marktmechanismen heraus Selbstüberschätzung passiert und bei Organisationen wie der Fifa, dem Internationalen Olympischen Committee, den riesigen Wirtschaftsunternehmen, es immer öfter um den eigenen Vorteil des Funktionärs geht.“
Florian Güntert, Pädagogischer Mitarbeiter beim Fanprojekt Stuttgart e.V., kam in seinem Spotlight auf die Themen Rassismus und Diskriminierung im Sport zu sprechen. Gerade der Fußball bzw. die Stadien und ihr Umfeld seien aufgrund der Anonymität der Masse für zahlenlose extremistische Gruppierungen attraktiv und würden für diskriminierende Äußerungen ausgenutzt. Diesem Missbrauch des Fußballs als Ventil für rassistische, frauenfeindliche, diskriminierende Strömungen arbeiten die Fanprojekte seit den 80er Jahren deutschlandweit präventiv entgegen. 


Dass die ökologische Nachhaltigkeit im Sport noch wenig Beachtung finde, kritisierte Dr. Benjamin Haar, Geschäftsführer der Sportvereinigung Feuerbach 1883 e.V. zu Beginn seines Kurzvortrags zu Sport und Gemeinwohlökonomie. Denn auch der Sport ist unmittelbar vom Klimawandel betroffen, wie exemplarisch am Wintersport aufzuzeigen ist, der durch die nachweislich signifikant rückläufigen Schneemengen massiv betroffen sei. Dr. Haar appellierte an ein nachhaltiges Handeln auch im Sport. Das dies realisierbar ist, hat Dr. Benjamin Haar mit der Sportvereinigung Feuerbach 1883 e.V. als aktueller Preisträger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises Sport 2024 bereits bewiesen. 


Sonja Carle, seit Juli 2024 Vorsitzende der Württembergischen Sportjugend (wsj), sprach darüber, dass den Sportlern auch eine Vorbildfunktion zugeschrieben wird. „Vorbilder zeichnen sich nicht nur durch ihren Erfolg aus, sondern auch durch ihr Engagement und ihre Werte.“ Um in einem Verein Wertebildung und Wertevermittlung sowie junges Engagement fördern zu können, braucht es eine sichere Umgebung für Kinder und Jugendliche im Verein. „Denn ohne Wertefundament lässt sich kein stabiles Haus bauen“, verbildlichte Sonja Carle die Wichtigkeit von Werten im Sportkontext. 

 

Hören Sie die fünf Spotlights im Podcast HörRäume 

 

Was kann Sport von Kirche, was Kirche von Sport lernen? 

Als Abschluss in der von Kathinka Kaden vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) moderierten Podiumsdiskussion wurden die Sportexperten nach ihren gegenseitigen Empfehlungen von Kirche und Sport befragt. Diese waren weitestgehend identisch: So kann der Sport sich in puncto authentischem Wertekanon ein Beispiel an der Kirche nehmen. Im Gegenzug empfahlen Andreas Felchle und Florian Güntert der Kirche an der Attraktivität ihrer Angebote gerade für junge Menschen zu arbeiten und zielgruppengerecht auszurichten, allerdings ohne dabei Authentizität einzubüßen. Außerdem sollten Kirchengemeinden die Chancen der Leiblichkeit viel stärker nutzen wie bspw. durch die Beteiligung am Konficub etc. Aber auch Gemeinsamkeiten von Kirche und Sport wurden benannt: Kirche und Sport seien identitätsstiftend, sie können Menschen in unterschiedlichem Ausmaß positiv begleiten. „Kirche und Sport sind Institutionen, die prägend sein können vor allem für Kinder und Jugendliche, die ihren Lebensweg ebnen und begleiten können“, so Dr. Benjamin Haar. 

Ein sportliches, visuell attraktives Ausrufezeichen setzten die zwei Tanzpaare Silke Schnaitmann mit Susanne Schabel sowie Melisande und Samantha Köhler vom 1. Tanzclub Ludwigsburg e.V. mit ihrem facettenreichen und harmonischen Rollstuhltanz – mal walzernd, mal improvisierend. 

 

 


Autorin: Evangelische Akademie Bad Boll; zusammengestellt von Gert Holle - 21.10.2024