„Dass Menschen vom Müll leben müssen, hat mich zutiefst schockiert. Wie verzweifelt müssen sie sein, dass sie teilweise sogar ihre eigenen Kinder verkaufen, um den Rest der Familie zu ernähren?“ Diese erschütternde Erfahrung machte Tobias Schüßler 2012 bei seinem Besuch der Müllberge auf den Philippinen. Heute freut er sich über zehn Jahre erfolgreiche Hilfe zur Selbsthilfe in Südostasien.
31.08.2024
(Hösbach/gmi) - Aus der Begegnung mit einem Kind, dessen Geschwister von den eigenen Eltern verkauft worden waren, entstand eine Vision: Familien in Armut eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Im November 2014 gründete Tobias Schüßler die Global Micro Initiative e.V., um diese Vision mit ersten Projekten auf den Philippinen Wirklichkeit werden zu lassen. Die Organisation hat mit ihrem Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe inzwischen mehr als 2.720 Menschen erreicht und ihnen die Chance auf Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ermöglicht. Wie genau ist das gelungen?
Global Micro Initiative e.V. – Eine Vision nimmt Gestalt an
Seit 2015 ist die gemeinnützige Hilfsorganisation mit Sitz im unterfränkischen Hösbach auch auf der indonesischen Insel Bali aktiv. Später kamen Lombok und Nusa Penida hinzu. 2017 startete die Initiative ein Projekt in Thailand zur Unterstützung von Frauen, die aus der Armutsprostitution aussteigen wollten.
Von Anfang an setzte die Hilfsorganisation auf Hilfe zur Selbsthilfe. Mikrokredite in Verbindung mit kostenlosen Bildungsprogramme helfen den Menschen, kleine Unternehmen zu gründen oder zu vergrößern und aus eigener Kraft der Armut zu entkommen. Global Micro Initiative e.V. stärkt die unternehmerischen Fähigkeiten und die finanzielle Bildung der Menschen und ermöglicht ihnen langfristig ein besseres Leben. Das alles wird durch Spenden finanziert und geschieht durch ein Team lokaler Mitarbeiter, die mit der sozialen und kulturellen Situation vertraut sind.
Erfolge auf den Philippinen
In den Armenvierteln bei Olongapo lebten die ersten Projektteilnehmer von Global Micro Initiative e.V. Eine von ihnen war Catherine. Ihre Geschichte zeigt die Flexibilität der Hilfe, die die Organisation bietet.
„Catherine erhielt einen Mikrokredit von 80 Euro, um einen kleinen Kiosk zu eröffnen. Sie lebte mit ihrer Familie in einer Hütte ohne Wasseranschluss und ohne Toilette. Als ihr Kiosk scheiterte, halfen wir erneut und sie startete eine Näherei. Es hat mich sehr berührt, als sie mir bei einem Besuch in ihrer neuen Wohnung stolz ihre Waschmaschine zeigte, die sie sich mit dem Gewinn aus ihren Näharbeiten gekauft hatte”, erzählt Schüßler glücklich.
Seit 2021 ist die Hilfsorganisation auch bei Olongapos größtem Müllberg tätig. Die Menschen hier haben zumeist weder Strom noch fließendes Wasser. Hier zeigt sich besonders, dass zielgerichtete Hilfe zur Selbsthilfe Lebensumstände verbessern kann. „Noemi erwirtschaftete bereits nach wenigen Monaten so viel Einkommen mit dem Verkauf von Wasch- und Reinigungsmitteln, dass sie sich einen Stromanschluss leisten konnte”, freut sich Schüßler.
Zäsur durch Corona-Pandemie und Neu-Orientierung
Die Corona-Pandemie und die damit einhergehende wirtschaftliche Krise sowie der dann folgende Spendeneinbruch bildeten einen Wendepunkt in der Entwicklung von Global Micro Initiative e.V.
„Durch die Lockdowns mussten wir schweren Herzens unsere Arbeit in Thailand und die Nähkurse für Bewohner der Müllberge-Siedlung auf den Philippinen beenden”, erklärt Schüßler. „Ein massiver Spendenrückgang um mehr als 50 Prozent im Jahr 2021 und die schwierige Situation vieler ohnehin in Armut lebender Menschen zwangen uns außerdem, uns neu zu orientieren und uns auf unsere Kernkompetenzen – Mikrokredite in Verbindung mit Schulungen und individuellen Beratungen – zu fokussieren.” So begann im zweiten Corona-Jahr ein Hilfsprojekt in Denpasar im Gesamtvolumen von 50.000 Euro speziell für Menschen, die durch die Pandemie in Armut geraten waren. In intensiven kostenlosen Einzelberatungen erwarben sie einfachste betriebswirtschaftliche Kenntnisse und konnten mit neuen Kleinstunternehmen ihre Familien trotz der Pandemie ernähren.
„Der Straßenkehrer Swismara zum Beispiel verlor durch den Lockdown seinen ohnehin nur gering bezahlten Job”, erzählt Schüßler. „Mit einem Mikrokredit kaufte er einen Backofen. Durch die begleitenden Schulungen lernte er, wie man ein Geschäft aufbaut. Heute beliefert er mit seinen Backwaren Kioske und eine nahegelegene Schule und verdient mehr als zuvor.”
Insgesamt ermöglichte Global Micro Initiative e.V. im Rahmen dieses Corona-Hilfsprojektes Mikrokredite für 68 Menschen. Mit Schulungen und gezielten Einzelberatungen lernten sie zusätzlich einfachste betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse und konnten so ihre Familien trotz Pandemie ernähren.
Standortübergreifend startete Global Micro Initiative e.V. zusätzlich eine Digital-Initiative. Hier lernten die Projektteilnehmer, ihre Produkte soweit möglich online über soziale Medien anzubieten und digitale Zahlungsmöglichkeiten zu nutzen. Dies milderte die Folgen der Pandemie entschieden ab.
Abgeschlossene Großprojekte, neue Ziele
Auch auf Nusa Penida führte Global Micro Initiative e.V. mit überwältigendem Erfolg ein Projekt für Kleinstunternehmer in abgelegenen Weilern der Insel durch. 245 Teilnehmer erhielten durch dieses vom Kleinprojektefonds der Schmitz-Stiftungen mitgeförderte Schulungsprojekt im Gesamtvolumen von 38.000 Euro betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse.
„Unsere Auswertung zeigt eine Einkommenssteigerung von etwa 55 Prozent bei Kleinstunternehmern, die länger als ein Jahr an unserem Programm teilgenommen haben”, betont Schüßler. „Das ermöglicht ihnen jetzt ein Leben oberhalb der Armutsgrenze. So können sie zum Beispiel ihre Kinder in die weiterführende Schule der Nachbarinsel schicken. Unser Hilfe-zur-Selbsthilfe-Ansatz wirkt somit in die nächste Generation hinein.“
Die Nachfrage nach Mikrokrediten auf Nusa Penida ist deutlich gesunken, sodass der Vorstand der Hilfsorganisation beschlossen hat, das Programm dort zum Jahreswechsel nach Rückzahlung noch offener Mikrokredite abzuschließen.
Gleichzeitig wächst der Bedarf im ländlichen Lombok und in den Armenvierteln bei Olongapo. „Wir werden unser Engagement an diesen beiden Standorten intensivieren und unseren Fokus auf individuelle Beratungen verstärken, um jedem Projektteilnehmer in seiner individuellen Situation zu helfen”, erläutert Schüßler.
„Mit zehn Jahren Erfahrung sind wir bestens gerüstet, Menschen langfristig ein Leben ohne Armut zu ermöglichen. Für weitere Expansion brauchen wir jedoch mehr Unterstützer. Wir freuen uns über jeden, der Global Micro Initiative e.V. unterstützt und so zum Chancen-Geber für viele Menschen wird.”
Autorin: Silvia Schüßler, Global Micro Initiative e.V.; zusammengestellt von Gert Holle - 30.08.2024