5.10.2023
von Gianni Valente
(Rom/Fides) - „»Lobt Gott« ist der Name dieses Schreibens. Denn ein Mensch, der sich anmaßt, sich an die Stelle Gottes zu setzen, wird zur schlimmsten Gefahr für sich selbst“. Mit diesen Worten endet das neue Apostolische Schreiben „Laudate Deum“, das Papst Franziskus am Mittwoch, dem 4. Oktober, dem Fest des heiligen Franz von Assisi, veröffentlicht hat, zeitgleich mit dem Beginn Versammlung der Bischofssynode zum Thema Synodalität. Wie schon in den Enzykliken „Laudato si'“ und „Fratelli tutti“ greift Papst Franziskus auf die Worte des Heiligen zurück, von dem er seinen Namen hat ("Lobt Gott für all seine Geschöpfe"), um mit christlichem Realismus auf die Zukunft der gesamten Menschheitsfamilie zu blicken, und um Wege vorzuschlagen, die die Welt vor den Prozessen retten können, die sie in die Selbstzerstörung treiben.
Vor nunmehr acht Jahren, so Papst Franziskus mit Bezug auf die Veröffentlichung der Enzyklika „Laudato si‘“, „wollte ich mit euch allen, meinen Schwestern und Brüdern auf unserem leidenden Planeten, meine tiefe Besorgnis um den Erhalt unseres gemeinsamen Hauses teilen. Aber mit der Zeit wird mir klar, dass wir nicht genügend reagieren, während die Welt, die uns umgibt, zerbröckelt und vielleicht vor einem tiefen Einschnitt steht“ (§2). Die 73 Paragraphen des Apostolischen Schreibens enthalten Vorschläge und kritische Überlegungen zu den Mechanismen der Entwicklung und dokumentieren anhand von objektive Daten und eindringliche Beobachtungen, dass „die Auswirkungen des Klimawandels das Leben vieler Menschen und Familien zunehmend beeinträchtigen werden. Wir werden seine Folgen unter anderem in den Bereichen der Gesundheit, der Arbeitsplätze, des Zugangs zu den Ressourcen, des Wohnraums und der Zwangsmigration spüren.“ (§2).
Papst Franziskus scheut sich nicht, sich mit den ideologischen Kontroversen auseinanderzusetzen, die oft um das Thema Umwelt kreisen: „Wie sehr man auch versuchen mag, sie zu leugnen, zu verstecken, zu verhehlen oder zu relativieren“, so der Papst, „die Anzeichen des Klimawandels sind da und treten immer deutlicher hervor. Niemand kann ignorieren, dass wir in den vergangenen Jahren Zeugen von extremen Phänomenen, häufigen Perioden ungewöhnlicher Hitze, Dürre und anderem Wehklagen der Erde geworden sind, die nur einige greifbare Ausprägungen einer stillen Krankheit sind, die uns alle betrifft (…) Wenn wir früher einige Male im Jahr eine Hitzewelle hatten, was wird dann bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius geschehen, dem wir uns nähern? Solche Hitzewellen werden viel häufiger sein und eine stärkere Intensität haben. Bei einem Anstieg von mehr als 2 Grad würden die Eisschilde Grönlands vollständig schmelzen und ein Großteil der Antarktis - mit enormen und sehr ernsten Folgen für alle“ (§ 5).
In den vergangenen Jahren „hat es nicht an Personen gefehlt, welche diese Beobachtung kleinreden wollten. Sie führen vermeintlich wissenschaftlich fundierte Daten an, wie die Tatsache, dass der Planet schon immer Phasen der Abkühlung und Erwärmung hatte und haben wird. Sie versäumen dabei die Erwähnung einer anderen relevanten Gegebenheit: dass das, was wir jetzt erleben, eine ungewöhnliche Beschleunigung der Erwärmung ist, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, dass eine einzige Generation – nicht Jahrhunderte oder Jahrtausende – genügt, um dies wahrzunehmen“ (§6). Um diejenigen ins Lächerliche zu ziehen, „die über die globale Erwärmung sprechen, wird die Tatsache angeführt, dass es auch oft zu extremen Kälteeinbrüchen kommt. Dabei wird vergessen, dass diese und andere außergewöhnliche Symptome lediglich alternative Ausdrucksformen derselben Ursache sind, nämlich des globalen Ungleichgewichts, das durch die Erderwärmung verursacht wird“ (§7). Und es mangelt nicht an denjenigen, die „den Armen die Schuld dafür geben, weil sie viele Kinder haben, und die sogar versuchen, das Problem zu lösen, indem sie die Frauen in wenigerentwickelten Ländern verstümmeln. Wie immer scheinen die Armen schuld zu sein. Aber die Wirklichkeit ist, dass ein kleiner Prozentsatz der Reichsten auf der Erde die Umwelt mehr verschmutzt als die ärmsten 50% der gesamten Weltbevölkerung und dass die Pro-Kopf-Emissionen der reichsten Länder um ein Vielfaches höher sind als die der ärmsten“ . Während „Afrika, wo mehr als die Hälfte der ärmsten Menschen der Welt leben, nur für einen winzigen Bruchteil der in der Geschichte angefallenen Emissionen verantwortlich ist“ (§9).
Der Papst bezieht sich auch auf die Kampagnen derjenigen, die behaupten, dass „dass die Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels durch die Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe und die Entwicklung sauberer Energieformen zu einem Rückgang der Arbeitsplätze führen würden“. Was stattdessen geschehe, so Papst Franziskus, sei die Tatsache, dass “Millionen von Menschen aufgrund der verschiedenen Folgen des Klimawandels ihren Arbeitsplatz verlieren: Der Anstieg des Meeresspiegels, Dürreperioden und viele andere Phänomene, die den Planeten heimsuchen, haben etliche Menschen in Bedrängnis gebracht. Andererseits können der Übergang zu erneuerbaren Energieformen, wenn er gut gesteuert wird, sowie alle Bemühungen zur Anpassung an die Schäden des Klimawandels unzählige Arbeitsplätze in verschiedenen Sektoren schaffen“ (§10).
Papst Franziskus nenn objektive Daten, die belegen, dass „der menschliche – „anthropogene“ – Ursprung des Klimawandels nicht mehr bezweifelt werden kann“ (§11), was manchmal angefochten werde durch bestimmte „abschätziger und wenig vernünftiger Meinungen“, „die ich selbst innerhalb der katholischen Kirche vorfinde“. Aber „wir können nicht mehr daran zweifeln, dass der Grund für die ungewöhnliche Geschwindigkeit dieser gefährlichen Veränderungen eine unbestreitbare Tatsache ist: die gewaltigen Entwicklungen, die mit dem ungezügelten Eingriff des Menschen in die Natur in den letzten zwei Jahrhunderten zusammenhängen“ (§14).
Die Wurzel des anhaltenden Umbruchs in der Beziehung zwischen Mensch und Schöpfung, so Papst Franziskus, sei das bereits in der Enzyklika „Laudato si‘“ beschriebene „technokratische Paradigma“, »ein Verständnis des menschlichen Lebens und Handelns, das fehlgeleitet ist und der Wirklichkeit widerspricht bis zu dem Punkt, ihr zu schaden«, das darin besteht, zu denken, »als gingen die Wirklichkeit, das Gute und die Wahrheit spontan aus der technologischen und wirtschaftlichen Macht selbst hervor“ (§20).
Während der vergangenen Jahre habe man „ein weiteres Fortschreiten dieses Paradigmas erlebt“. „Die künstliche Intelligenz und die jüngsten technologischen Neuerungen gehen von der Vorstellung eines Menschen ohne jegliche Grenzen aus, dessen Fähigkeiten und Möglichkeiten dank der Technologie bis ins Unendliche erweitert werden können. So nährt sich das technokratische Paradigma in ungeheurer Weise von sich selbst“ (§21).
Wobei die „Besessenheit“ zugrunde liege „die menschliche Macht über alles Vorstellbare hinaus zu steigern, für die die nicht-menschliche Wirklichkeit nur eine Ressource zu ihren Diensten ist. Alles, was existiert, hört auf, ein Geschenk zu sein, das man würdigt, schätzt und pflegt, und wird zum Sklaven, zum Opfer einer beliebigen Laune des menschlichen Geistes und seiner Fähigkeiten“ (§22). Während nicht „jeder Zuwachs an Macht“ auch „ein Fortschritt für die Menschheit“ sei. „Es genügt, an die „bewundernswerten“ Technologien zu denken, die genutzt wurden, um Bevölkerungen zu dezimieren, Atombomben abzuwerfen und ethnische Gruppen auszulöschen“ (§ 24).
Indem Papst Franziskus das "technokratische Paradigma" ablehnt, schließt er auch die Vorstellung aus, „dass der Mensch ein Außenstehender ist, ein externer Faktor, der nur in der Lage ist, die Umwelt zu schädigen“ (§ 26), während „eine gesunde Umwelt auch das Ergebnis der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt, wie es in den indigenen Kulturen der Fall ist und wie es über Jahrhunderte in verschiedenen Regionen der Erde geschehen ist. Menschliche Gruppen haben oft eine Umwelt „erschaffen“, sie haben sie in irgendeiner Weise neugestaltet, ohne sie zu zerstören oder zu gefährden. Das große aktuelle Problem ist, dass das technokratische Paradigma diese gesunde und harmonische Beziehung zerstört hat“ (§ 27).
Papst Franziskus nimmt auch Bezug auf Mechanismen des Marketing und der falsche Informationen derer „die über größere Mittel verfügen, um durch diese die öffentliche Meinung zu beeinflussen“ und betont, dass „wenn ein Projekt mit starken Eingriffen in die Umwelt und erheblich belastenden Auswirkungen geplant ist, werden den Bewohnern des Gebiets mit Hilfe dieser Mechanismen Illusionen gemacht, indem man von dem lokalen Fortschritt spricht, der erzielt werden kann, oder von den wirtschaftlichen, beschäftigungspolitischen und menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten, die dies für ihre Kinder bedeuten wird (§29).
Die globale Dimension des Klimaproblems könne von den geopolitischen Akteuren nur gemeinsam durch multilaterale Zusammenarbeit bewältigt werden, wobei der alte Multilateralismus angesichts der neuen Situation "rekonfiguriert" werden müsse, in dem man anerkenne, dass „die aufstrebenden Mächte zunehmend an Bedeutung und sind in der Tat in der Lage, wichtige Ergebnisse bei der Lösung konkreter Probleme zu erzielen, wie einige von ihnen während der Pandemie gezeigt haben. Gerade der Umstand, dass die Antworten auf die Probleme von jedem Land kommen können, mag es auch klein sein, führt dazu, den Multilateralismus als unausweichlichen Weg anzuerkennen“ (§40).
Papst Franziskus widmet den vierten und fünften Teil des Schreibens (§ 44-60) den "Fortschritten und Misserfolgen von Klimakonferenzen" und drückt die Hoffnung aus, dass die COP28 (die Konferenz über Umwelt und nachhaltige Entwicklung, die am 30. November in Dubai eröffnet wird) ein „Wendepunkt“ sein wird, „der beweist, dass alles, was seit 1992 getan wurde, ernsthaft war und sich gelohnt hat, andernfalls wird sie eine große Enttäuschung sein und all das Gute, das bisher erreicht werden konnte, in Gefahr bringen“.
Die katholischen Gläubigen erinnert der Papst an die Beweggründe des Engagements für die Bewahrung der Schöpfung „die sich aus ihrem Glauben ergeben“ und ermutigt „die Brüder und Schwestern anderer Religionen, dasselbe zu tun“ (§61). Gerade im Lichte der biblischen Lehre, betont der Bischof von Rom, solle man aufräumen mit „der Vorstellung eines autonomen, allmächtigen, unbegrenzten Menschen“ (§68).
In den letzten Abschnitten des Apostolischen Schreibens, betont der Papst, dass das „Bemühen der Haushalte um weniger Verschmutzung, um eine Reduzierung des Abfalls und um einen umsichtigen Konsum“ eine „neue Kultur“ schaffe (§71). Und „wenn wir bedenken, dass die Emissionen pro Person in den Vereinigten Staaten ungefähr doppelt so hoch sind wie die eines Einwohners von China und circa siebenmal so hoch wie der Durchschnitt der ärmeren Länder, dann können wir bekräftigen, dass eine umfassende Veränderung des unverantwortlichen Lebensstils, der mit dem westlichen Modell verbunden ist, eine bedeutende langfristige Wirkung hätte. Zusammen mit den unentbehrlichen politischen Entscheidungen wären wir so auf dem Weg der gegenseitigen Fürsorge“ (§72).
(Fides 4/10/2023)