Interview mit Schwester Anna Mirijam Kaschner, Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz

„Arme Kirche in reichen Ländern“

Foto: Theresa Meier
Foto: Theresa Meier

 

Schwester Anna Mirijam Kaschner, Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, spricht im Bonifatiuswerk-Interview über eine Weltkirche im Kleinen und warum die Unterstützung aus Deutschland für die Glaubensgeschwister in der Diaspora so wichtig ist.

Bei uns umfasst eine Gemeinde meist ein überschaubares Gebiet. Wie groß sind bei Ihnen üblicherweise die Pfarreien?

Sr. Anna Mirijam Kaschner: Das ist ganz unterschiedlich. Insgesamt haben wir in unseren fünf nordischen Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island) einen Katholikenanteil zwischen 0,3 und 3,5% an der Gesamtbevölkerung. Zu dieser extremen Diasporasituation kommen die Ländergrössen hinzu. So hat Finnland z.B. die fast gleiche Größe wie die Bundesrepublik Deutschland, aber insgesamt nur 8 katholische Gemeinden. Wenn man sich also vorstellt, es gäbe in Deutschland z.B. nur in Hamburg, München, Dresden, Frankfurt, Berlin, Köln, Nürnberg und Bremen eine katholische Gemeinde, dann kann man sich ausrechnen, wieviel Zeit man einplanen muss, um zum Gottesdienst zu kommen. Im Bistum Kopenhagen sieht es anders aus – wenn man die katholische Gemeinde in Nuuk (Grönand) oder auf den Färør-Inseln ausnimmt. Im Bistum Kopenhagen sind die Abstände zur nächstgelegenen katholischen Kirche kleiner und überschaubarer. Die Anzahl der Gläubigen in den Pfarreien ist ebenfalls unterschiedlich, sie kann von 40 bis über 2000 Gläubigen reichen. In Island gibt es – wie in Finnland 8 Gemeinden, hier erstreckt sich eine Gemeinde auf über 600 Quadratkilometer – und hat 600 Gemeindemitglieder. Aber nicht nur für die Gläubigen, die zur Kirche kommen und für die der Besuch der Messe manchmal ein Wochenendausflug bedeutet, sind die Entfernungen ein Problem, sondern natürlich auch für die Priester. An solchen Wochenenden wird dann auch die gesamte Erstkommunion, Firm- und Ehevorbereitung durchgeführt. In Finnland und Island gibt es Pfarrer, die im Jahr 200.000 Kilometer mit dem Auto fahren, um an den verschiedenen Orten Gottesdienst feiern zu können. In der Territorialprälatur Tromsø im Norden von Norwegen reist der Bischof zur Firmung mit dem Flugzeug an.

 

Die Gemeindemitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. Erleben Sie vor Ort eine Art Weltkirche im Kleinen?

Sr. Anna Mirijam Kaschner: Wir sagen hier gerne, dass wir jeden Sonntag Pfingsten erleben. Die katholische Kirche ist in allen unseren Ländern eine Kirche von Einwanderern. Viele Menschen kommen auf der Suche nach Arbeit in den Norden. Die meisten kommen aus katholischen Ländern, z.B. aus Polen, Vietnam, Kroatien, den Philippinen oder aus Litauen. Für sie ist die Messe am Sonntag etwas Bekanntes, sie gibt ihnen ein Gefühl der Beheimatung in einem fremden Land. In vielen unserer Gottesdienste sind daher nicht selten Menschen aus 40-50 verschiedenen Nationen anwesend. Viele sprechen die Landessprache zu Beginn nicht, aber das Schöne an der katholischen Liturgie ist ja, dass sie überall gleich gefeiert wird. Die Gläubigen haben die Lesungstexte dann auf ihrem Smartphone und können so dem Gottesdienst folgen. 

 

In Deutschland begehen wir in Kürze den Diaspora-Sonntag. Warum sollten sich die deutschen Katholiken für ihre Glaubensgeschwister in der Diaspora einsetzen?

Sr. Anna Mirijam Kaschner: Als „arme Kirche in reichen Ländern“ sind wir hier im Norden auf die Unterstützung unserer Glaubensgeschwister angewiesen. Die katholische Kirche bekommt keinerlei oder nur sehr wenig staatliche Unterstützung. Wir wissen auch gar nicht genau, wie viele Katholiken sich in unseren Ländern befinden, da bei der Einreise nicht nach der Konfessions- oder Religionszugehörigkeit gefragt wird, sondern nur, ob jemand evangelisch ist oder nicht. Daher ist es schwer, Katholiken aktiv aufzusuchen und sie davon zu überzeugen, einen freiwilligen Kirchenbeitrag zu entrichten. Dazu müssen sie sich zudem registrieren lassen – und gerade Menschen aus Osteuropa oder Ländern, die in einer Diktatur gelebt haben, tun sich sehr schwer damit. Wir sind den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern des Bonifatiuswerkes daher von Herzen dankbar, dass sie mit ihren Spenden ein lebendiges Gemeindeleben möglich machen.

 

Hat die Corona-Pandemie die Situation der Katholiken in den nordischen Ländern nochmals verschärft?

 

Sr. Anna Mirijam Kaschner: Unsere kleinen, verstreuten Gemeinden leben von der erfahrbaren Gemeinschaft – bei Gottesdiensten, beim Kirchenkaffee, bei Wallfahrten oder anderen Gelegenheiten. All dies war in der Corona-Zeit nicht möglich. Wir haben versucht, uns mit Livestream-Gottesdiensten zu behelfen, aber das kann natürlich nicht die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch ersetzen. Inzwischen sind Gottesdienstfeiern und Begegnungen wieder möglich, und auch, wenn sie einige an die bequeme Lösung vor dem Bildschirm gewöhnt haben, so hoffen wir doch, dass sich das gemeindliche Leben wieder normalisieren wird.