Im historischen Wohnhaus des ersten lutherischen Missionars Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719) im südindischen Tharangambadi richteten die Franckeschen Stiftungen zusammen mit Partnern aus Deutschland und Indien ein Museum des interkulturellen Dialogs ein.
(Halle/pm) - Mit der Dänisch-Halleschen Mission (DHM) wurde der südindische Küstenort Tharangambadi (heute im indischen Bundestaat Tamil Nadu gelegen) im Jahr 1706 zum Ausgangspunkt der ersten protestantischen Mission weltweit. Anders als bei vielen anderen Missionen, vor allem späterer Jahrhunderte, begann mit der DHM vor über 300 Jahren ein beispielgebender Dialog zwischen den Kulturen, der bis heute fruchtbar ist und jetzt in einem internationalen Museumsprojekt Ausdruck findet, das mitten in der aktuellen Diskussion um die Herkunft von Kulturgut eröffnet wurde. Prof. Dr. Thomas Müller-Bahlke, Direktor der Franckeschen Stiftungen, ist Initiator des Projekts, für das er als Partner in Indien die Tamil Evangelical Lutheran Church und in Deutschland das Ev.-Luth. Missionswerk Niedersachsen und das Ev.-Luth. Missionswerk Leipzig sowie das Auswärtige Amt gewinnen konnte. Während einer 12-tägigen Reise Ende Januar 2018 besuchte er das vor kurzem eröffnete Museum. Es befindet sich in dem historischen Wohnhaus des ersten halleschen Missionars Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719), nachdem dies zuvor mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vor dem endgültigen Verfall gerettet und denkmalgerecht instandgesetzt wurde. Gemeinsam mit der deutschen Projektkoordinatorin vor Ort, Jasmin Eppert, und ihrer indischen Teamkollegin Joice Sharmila, traf er Kooperationspartner und besprach Ideen für die Weiterentwicklung dieses Vorreiters internationaler Museumsarbeit.
Die Missionare der ersten protestantischen Mission waren von dem halleschen Pietisten August Hermann Francke(1663–1727) ausgebildet worden und von seinen sozialen und gesellschaftlichen Reformideen geprägt. Sie gründeten in Südindien Waisenanstalten und die ersten Schulen für Jungen und Mädchen. Sie erlernten mit Eifer die Landessprachen Telugu und Tamil und gaben mit einer eigenen Druckerei, die ihnen komplett mit Fachpersonal 1712 aus Halle geschickt wurde, den Impuls für die Verbreitung des Druckereiwesens in ganz Indien. Sie dokumentierten wissenschaftlich genau ihre neue Lebenswelt, vom Klima über Flora und Fauna bis hin zur Landeskultur, den religiösen Gegebenheiten und den südindischen Heilmethoden. Alles berichteten sie zurück nach Halle, wo das neue Wissen interessiert aufgenommen, im Unterricht an Franckes Schulen angewendet, in der Zeitschrift »Hallesche Berichte« verarbeitet sowie europaweit verbreitet und stets sorgfältig gespeichert wurde. So finden sich heute im Archiv der Franckeschen Stiftungen ca. 35.000 Manuskripte mit dichten Informationen über Südindien im 18. Jahrhundert, darunter die ersten regelmäßigen Wetteraufzeichnungen dieser Weltgegend. Ergänzt wird dieser Kulturschatz um Objekte in der frühneuzeitlichen Kunst- und Naturalienkammer, die von den Missionaren zu Anschauungszwecken mit ausführlichen Beschreibungen nach Halle übersandt wurden.
Dieses frühe Beispiel eines gelungenen Kulturaustauschs ist ein Stück gemeinsamer indisch-deutscher Geschichte. Diesen Ansatz nimmt das Museum im Tharangambadi auf. In fünf Räumen auf zwei Etagen werden den Gästen auf englischsprachigen Schautafeln Einblicke in die Geschichte gegeben. Hinzu kommen ausgewählte Exponate, wie etwa die Taufschale Ziegenbalgs und funktionstüchtige Druckmaschinen, an denen die historischen Techniken vorgeführt werden können. Für den Erhalt der Tradition des Druckhandwerks wurde das Museum im September 2017 von der Druckergemeinschaft All India Federation of Master Printers mit dem »Printers Award of Excellence« ausgezeichnet. Das Ziegenbalg-Haus selbst gehört der Tamil Evangelical Lutheran Church (TELC), die aus der Mission hervorging. Das Museum ist als ein Begegnungsort für alle Interessenten konzipiert, auch für nichtchristliche Touristen aus Indien und Übersee. Seit der Eröffnung im Juli 2017 haben über 2000 Menschen, darunter viele Kindergruppen aus den umliegenden Schulen, das Museum besucht. Sie interessieren sich für dieses Stück lebendiger Vermittlung eines gemeinsamen Erbes, das sich bewusst an alle richtet und breite Zielgruppen einbeziehen möchte.
Tharangambadi hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem attraktiven Tourismusziel entwickelt. Bis heute bildet ein historisches Stadttor den Ortseingang. Das mächtige dänische Fort aus dem 17. Jahrhundert direkt an den Klippen des bengalischen Golfs wird als staatliches Museum betrieben. Eine dänische Gesellschaft unterhält ein weiteres Museum in der Nähe des Strands. Die von den Missionaren erbaute Neue Jerusalemkirche und das Taufereignis des ersten lutherischen Tamilen Aaron (1698/99–1745), der durch seine Ordination im Jahr 1733 zum gleichberechtigten Pastor der Mission wurde, feiern in diesem Jahr ihr 300. Jubiläum.
Die nächsten Schritte bestehen darin, ein regelmäßiges Kultur- und Bildungsprogramm im Ziegenbalghaus anzubieten. Dazu zählen Druckworkshops für Schulklassen, Angebote zur Geschichte Tranquebars für die einheimische Bevölkerung oder Touristen und gemeinsam mit Universitäten und Colleges das Durchführen akademischer Seminare zu den digitalen Quellen, die der Stiftungsdirektor als Erstausstattung anlässlich seines Besuchs dem Museum überreichte. Die Arbeit des Museums kann in einem nächsten Schritt auf die benachbarten Gebäude der historischen Missionsstation ausgedehnt werden. Daraus könnte ein ganzer Studiencampus des interkulturellen Austauschs entstehen. Diese Vision nimmt bereits Gestalt an. Edwinson William aus Indien und David Dobschütz aus Deutschland sind 2017 im Rahmen von Freiwilligendiensten für ein Jahr in das jeweils andere Land gereist und lernen dort in den Franckeschen Stiftungen und dem Ziegenbalg-Haus in Tharangambadi die Ausstellungsarbeit und kulturelle Projekte kennen.
Seit Beginn wurde der Aufbau des Museums mit der Kamera begleitet. In neun Kurzfilmen werden die Projektgenese, die Sanierungsarbeiten und die alltägliche Museumsarbeit gezeigt. Die Filme stehen auf YouTube und auf der Webseite der Franckeschen Stiftungen zur Verfügung.
Alle Informationen zum Projekt: https://www.francke-halle.de/wir-ueber-uns-a-9698.html
Franckesche Stiftungen I Franckeplatz 1, Haus 1 I 06110 Halle (Saale)
Historische Schulstadt I Historisches Waisenhaus I Kunst- und Naturalienkammer I Historische Bibliothek
Öffnungszeiten Informationszentrum im Francke-Wohnhaus und Ausstellungen : Di-So und feiertags 10-17 Uhr
Eintritt: 6 Euro, erm. 4 Euro, Kinder bis 18 Jahre Eintritt frei
www.francke-halle.de