Angedacht: Menschen mit leichtem Gepäck

Foto: canva.com
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24.06.2024

 

Angedacht: Menschen mit leichtem Gepäck - von und mit Gert Holle

 

Ist das nicht ein toller Sommer? Sonne und Wärme satt – Berge und Seen direkt vor der Haustür. Erholung pur. Verweilen an Orten der Entspannung. Da müsste man doch gar nicht in die Ferne schweifen. Und der Ökobilanz wäre auch noch gedient. Doch für Viele lautet die Devise in diesen Tagen: „Ab in ein fernes Land, Urlaub am Strand!“ Wenn da bloß nicht das mühevolle Packen des Koffers wäre... –  Mein Tipp: Besser rollen statt falten – dann geht mehr hinein. Aber man muss eng rollen und nicht so schludrig. Und möglichst Lücken mit Kleinkram füllen. Erst die Hose, dann die Schuhe – die sind am Schwersten. Und was da alles noch in die Schuhe passt? Auf jeden Fall Flüssigkeiten und Cremes. Und die luftige Abendgarderobe hinter das Netz in den oberen Bereich. Doch halt! – Auf keinen Fall so lebenswichtige Dinge wie Tabletten oder Elektronik im Koffer verstauen. Der könnte auf dem Flug in den Süden verloren gehen. Und manchmal gibt es auch Bruch. Wohin also damit? – Richtig, ins Handgepäck. Wichtig: dort kommt die Badehose hinein. Denn sollte der Hauptkoffer verlustig gehen, der Badespaß am Strand ist auf diese Weise gleich nach der Ankunft garantiert. Sonnenbrille, Sonnenhut und Rätselheft finden dort gewiss Platz. Wenn Sie sich dann noch erinnern, dass Sie im letzten Urlaub nur die Lieblingsklamotten getragen haben, kann Vieles wieder in den Schrank wandern. Der Koffer wird leichter. So mögen Sie sich vielleicht in der Abfertigungshalle im Flughafen verwundert die Augen reiben, weil das Handgepäck der Mitreisenden einen größeren Umfang hat als Ihr eigener Koffer. Und vielleicht fragen Sie sich dann: „Was haben die da wohl für wichtige Dinge drinnen, die ich vergessen habe?“ Naja, Sie haben ja auf dem Flug genügend Zeit, Ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen… -

 

Mir kommen bei dem Bild von Menschen mit Koffern ganz andere Gedanken in den Sinn. Ich habe Menschen vor Augen, die bei uns ankommen - selten mehr als die Kleider auf ihrem Leib und leichtes Gepäck mit dem Allernotwendigsten dabei. Vertrieben von Krieg, Terror, Diktatur, Korruption, Armut und Hunger haben sie sich aufgemacht zu uns, um zu überleben. Um vielleicht auch ein besseres Leben zu führen. Doch Europa ist sich uneins. Während den Flüchtenden oft nur der Weg über die „nasse Todesroute“ bleibt, übers Mittelmeer, wohin mancher von uns mit seinem Handgepäck in den Urlaub fliegt, streiten Politiker seit Jahren in unwürdiger Weise über „Lösungen“, über Aufnahmekontingente, über Abschottung. Und die Staatengemeinschaft nimmt den Tod vieler Flüchtlinge in Kauf - um abzuschrecken. Viel mussten sie hinter sich lassen: Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder. Zurückgeblieben ist ihr ganzer materieller Besitz. Doch mitnehmen konnten sie ihre Sprache, ihre Kultur, ihr Wissen und ihren Glauben. Das alles ist ihr wertvolles Handgepäck, mit dem sie, wenn sie großes Glück haben, zu uns kommen und uns bereichern könnten – wenn wir nur wollten. Gebete und Lieder, die ihnen von Kindheit anvertraut waren, begleiten sie in eine andere Welt mit ungewisser Zukunft, in eine Welt, die angesichts der anhaltenden Flüchtlingsströme versagt hat. -


Und wir? Was wäre, wenn wir plötzlich verarmen sollten? Wenn sich unsere Lebensbedingungen durch den Klimawandel dramatisch verschlechtern würden und wir fliehen müssten? – Auch uns blieben unsere Sprache, die Kultur, unser Wissen und unser Glauben. Und ich frage mich: Haben wir vielleicht so etwas wie ein religiöses Handgepäck? - Vielleicht ein Kreuzzeichen, mit dem ich den Tag beginnen und ihn am Abend beschließen könnte? Oder auch das „Vaterunser“, das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat? Oder Lieblingslieder? Und eine kleine Bibel, die ein Buch vieler Flüchtlinge ist? Ich denke an die Wirtschaftsflüchtlinge Abraham und Isaak; an Jakob, der vor seinem Bruder Esau flieht; an Moses, den ersten politischen Flüchtling; an Elimelech und seine Frau Naomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon, die vor Hunger ins Land der Moabiter flohen; Josef, Maria und Jesus auf der Flucht vor Herodes nach Ägypten … . -  Wie würde Ihr Handgepäck aussehen?

 

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche und sonnige Urlaubstage.
Ihr Gert Holle


Autor: Gert Holle -24.06.2024