Angedacht: Labyrinthisch eben

Foto: Renate Holle
Foto: Renate Holle

Angedacht: Labyrinthisch eben – von und mit Gert Holle

 

Ein Rabbi fragt gelehrte Männer: „Wo wohnt Gott?“ Diese lachen über die Frage und antworten: „Die Welt ist voll von Gottes Herrlichkeit!“ Darauf der Rabbi: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“ - Die Erwiderung des Rabbi klingt ganz einfach: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“ Oder anders gesagt: Öffne Dein Herz, dann findest du Gott! In Zeiten der Hochstimmung ist das sicher auch nicht allzu schwer. Ich denke da an meinen Urlaub im Schwarzwald zurück: Frische Luft, ausgiebige Wanderungen, freundliche Menschen. Entspannung pur. Da fühlst du dich Gott ganz nah. Da nimmst du dir Zeit, nimmst die Natur wahr, Gottes gute Schöpfung. Ich erinnere mich an einen dieser Spaziergänge an einem wundervollen Sommertag: Ich entdeckte in einem Park ein aus Steinen auf einem Rasen ausgelegtes Labyrinth. Es lud geradezu zum Verweilen und Nachdenken ein. Ich zog die Schuhe aus und machte mich barfuß auf den Weg – und der führte in die Mitte. Nach innen. In die Stille. In meine Mitte, wo mein Herz ist. Wo ich Gott begegnen kann und meinem Sein in und mit dieser Welt. Derselbe Weg führte mich auch wieder zurück – mit der Verbindung im Herzen – nach außen, in mein Tun und Lassen, Kommen und Gehen, Geben und Nehmen. Immer wieder. Labyrinthisch eben.

 

„Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“ Doch nun ist wieder Alltag und das Öffnen des Herzens scheint erneut schwer zu sein. Weil wir von dem, was um uns herum passiert, beunruhigt sind? Weil uns Ängste das Herz verkrampfen und uns den Schlaf rauben? - Da ist die Angst, nicht mehr genug leisten zu können, unnütz zu sein, keinen Wert mehr zu haben. Da ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang in unserm Land, die Angst vor dem Abbau unseres sozialen Systems, die Angst vor dem Verlust des gewohnten Lebensstandards, vor persönlicher Armut und finanzieller Not. Da ist die Angst vor dem Schwund der Werte, besonders der religiösen: Was gilt eigentlich noch ein gegebenes Wort unter den Menschen? Wie viel Verlass ist auf ein Versprechen: des Ehegatten einst vor dem Altar, des Politikers vor der Wahl, des Chefs vor der Kündigungswelle… Auseinandersetzungen werden zunehmend mit Gewalt geführt – verbal oder mit Waffen. Die Schwachen werden an die Wand gedrückt. Das Geld regiert – in der Wirtschaft sowieso, aber auch anderswo. Es  scheint, es gibt keinen Glauben mehr unter den Menschen. Der Kirchenaustritt ist auch in unseren Gemeinden gesellschaftsfähig geworden.

Man hat alles Verständnis der Welt für einen Betuchten, der die Kirche verlässt: „Wenn der doch auch so viel Kirchensteuer zahlen muss…“

 

Was würde uns der Rabbi sagen? Vielleicht: „Gott schützt uns nicht vor diesen Ereignissen – er schützt uns in ihnen. Gott macht nicht, dass die dunkle Zukunft sich in Wohlgefallen auflöst – er geht mit hinein. Gott bewahrt nicht davor, dass wir in schwere Zeiten kommen – er geht mit hindurch. Denn: Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein? Und es gibt nichts und niemand, der uns aus Gottes Liebe reißen kann. Darin gründen unser Trost, unsere Hilfe, unsere Hoffnung und unsere Zuversicht.“

 

Ein solcher Zuspruch würde gewiss bei uns wieder die Tür öffnen für die Hinwendung zu Gott. Dann können wir in unserem Alltag auch die Oase des Bei-uns-selber-Seins entdecken. So wie mir das vor einigen Jahren einmal gelang. „Die ganze Schöpfung – Lobpreis Gottes“ lautete das Motto eines ökumenischen Spazierganges im Kurpark von Bad Salzhausen. Das Thema entstammt einer Komposition der Ordensgründerin, Äbtissin, Musikerin, Mystikerin, Naturforscherin und Heilkundigen Hildegard von Bingen. Anhand der vier Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer, die nach Hildegard die Urbestandteile der Schöpfung verkörpern, wurde das Lob Gottes auf unterschiedliche Weise gemeinsam angestimmt. Zehn Minuten lang umrundeten die Teilnehmer, ruhig und tief ein- und ausatmend, das Gradierwerk – so wie sie zuvor vom Wasser der Lithiumquelle gekostet und am Kräutergarten der Vorstellung nachgegangen waren, mit der Erde verwurzelt zu sein. Mitten im Alltag: Zeit zum Loslassen, für Ruhe, Besinnung und eine individuelle Pause. -  „Gott hat den Menschen wie einen überaus schönen Edelstein auf die Erde gesetzt, in dessen Glanz sich die gesamte Schöpfung betrachtet.“ Mit diesem Gedanken von Hildegard von Bingen wünsche ich Ihnen eine gesegnete Woche. 

 


Autor: Gert Holle -12.08.2024