Gedanken zum Buß- und Bettag: Einen besseren Lebensweg suchen – von und mit Gert Holle
19.11.2024
„Wie oft duschen Sie in der Woche? Einmal, mehrmals oder gar jeden Tag?“ Mit der Frage, wie denn Körperhygiene am besten zu treiben sei, beschäftigte sich vor einigen Tagen ernsthaft ein wissenschaftlicher Artikel in einer Illustrierten. Und wie das in diesen Tagen so ist, gab es gleich auch noch Hinweise auf Diskussionsforen in den sozialen Medien. Ich konnte sogar kurze Zeit später einen Beitrag zu diesem Thema im Fernsehen entdecken. Plötzlich wurde etwas wichtig, was bisher gar nicht so im Blick war. Mir wäre das Ganze wahrscheinlich genauso egal gewesen wie Ihnen, wenn in meinem Kopf nicht ein Bild aus meiner Kindheit aufgetaucht wäre. In unserer Tageszeitung gab es einen Comic-Strip über einen Wikinger. Er wurde Hägar der Schreckliche genannt. In einer Episode wies ihn seine Frau Helga einmal nachdrücklich darauf hin, wofür Seife gut ist. Mochte Hägar auch die Welt in Angst erzittern lassen, zuhause hatte die resolute Helga die Hosen an. So stieg Hägar in die Wanne und badete wenigstens ein einziges Mal im Jahr, womit der Autor Dik Browne wohl an die Gewohnheiten der Wikinger und alter Rittersleute erinnern wollte. Apropos Gewohnheiten. Tatsächlich ist es auch in unserer Jetztzeit gar nicht so lange her, da gab es noch landauf landab den traditionellen Badetag in der Woche. Für den Sonntag und den Kirchenbesuch machte man sich am Samstagnachmittag rein und fein. Doch heute ist das anders. Trotz Hinweisen auf übermäßigen Wasserverbrauch und die Umwelt duschen viele täglich. Nach außen wollen wir immer sauber erscheinen und vor allem gut duften. So wie Häger, wenn auch nur einmal im Jahr. -
Über diese Erinnerung an den schrecklichen Hägar kam bei mir die Frage auf, wie es denn mit der inneren Sauberkeit aussieht, mit der Hygiene meiner Seele? Bereits vor rund 2500 Jahren hat der biblische Prophet Jeremia den Menschen zugerufen: „Wascht auch euer Herz!“ (Jeremia 4,14). Für diesen Vorgang hat die Bibel ein eigenes Wort geschaffen: „Buße tun.“ Und es erinnert in seinem Wortstamm an das Wort „besser“. Buße tun meint also sich verbessern, ein besserer Mensch werden. Nicht in dem Sinne, dass ich moralischen Regeln entspreche, sondern mich dem nähere, wie Gott sich mein Leben optimalerweise gedacht hat, optimal vor allem für mich.
Heute, am Buß- und Bettag, mache ich mir darüber Gedanken, ob und wie das denn gehen kann, ein besserer Mensch zu werden. In seinen 95 Thesen hat Martin Luther 1517 empfohlen, die Menschen sollten „das ganze Leben“, jeden Tag, nach einem besseren Lebensweg suchen. Viele Fürstentümer hielten darauf in den folgenden Jahrhunderten monatlich oder immerhin vierteljährlich Bußtage ab, die schließlich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts auf einen Tag reduziert wurde, den Buß- und Bettag. 1995 wurde dieser als gesetzlicher Feiertag auch in Hessen abgeschafft. Ursache hierfür war sicherlich, dass ein Tag, der zur Besinnung und inneren Einkehr aufruft, bei vielen, die in erster Linie auf Wachstum, Beschleunigung und die Verwirklichung individueller Freiheit ausgerichtet sind, als Fremdkörper wirken musste. Doch nach wie vor erinnern auch heute noch Gottesdienste in manchen unserer Kirchengemeinden unverdrossen daran, dass es gut ist, sich darüber Gedanken zu machen, mit welchen Verhaltensweisen wir uns selbst und anderen schaden und wie wir das ändern können. Wie wir Frieden halten können. Sie laden dazu ein, darüber nachzudenken, was in unserem Leben und im Zusammenleben mit anderen Menschen verkehrt läuft. Sie erinnern aber auch an die Schätze, an unsere Talente und Stärken, die irgendwie verkümmert sind, aber die wir eigentlich nutzen könnten – für uns und andere. Der Buß- und Bettag erinnert uns an die Liebe Gottes, in der wir Vergebung finden, und an die Möglichkeit, umzukehren. Vergebung befreit und verändert: mich, den anderen und die Beziehung zueinander. - Bis 1994 kannten wir den Buß- und Bettag als staatlichen Feiertag, an dem wir alle frei hatten, um einmal innezuhalten, uns zu besinnen und neu auszurichten – inmitten der stillen Zeit zwischen Volkstrauertag und Ewigkeitssonntag. Dann wurde der arbeitsfreie Tag auf dem Altar der wirtschaftlichen Rentabilität zugunsten der Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft. Ob das gut war für den Pflegezustand der Seele?
Hägar der Schreckliche widmet sich nur einmal im Jahr seiner Hygiene. Aber immerhin tut er es. Sicher ist es sinnvoll, öfter danach zu fragen: „Wie kann ich in meinem Leben besser werden?“ Ein fester Termin, wie der heutige Buß- und Bettag, dessen Bedeutung bei den meisten in den Hintergrund getreten oder gar vergessen ist, kann immerhin helfen, diese Frage nicht ganz zu vergessen. Nutzen wir den Tag zur Besinnung – gerade in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir dazu neigen, über andere allzu schnell und oft zu leichtfertig Urteile zu fällen. – Ihr Gert Holle
Autor: Gert Holle - 19.11.2024