Ihre Augen strahlten. Genüsslich schleckte sie an der kühlen Kugel. „Gott ist wie Schokoladeneis?“, fragte sie unvermittelt. Sie schaute mich dabei mit ihren großen
Stauneaugen an und schien auf Antwort zu warten. Ich war zugegebener Maßen recht verblüfft. Ein mir bis dahin unbekanntes, etwa fünfjähriges, wuschelköpfiges Mädchen stellte mir
so eine höchst schwierige Frage, während ich in der Schlange vor der Eisdiele wartete. „Gott ist wie Schokoladeneis?“ Bilder schossen mir augenblicklich durch den Kopf, wie ich
mir Gott vorstelle oder vielleicht mal vorgestellt habe: Von einem allmächtigen Weltenschöpfer bis zu recht abstrakten Vorstellungen wie „Gott ist mein Lied“ oder „Gott ist Liebe“
war so ziemlich alles dabei. Eine Schokoladeneiskugel fand sich nicht darunter. Was sollte ich sagen? „Gott ist wie Schokoladeneis?“ – „Weißt Du, Gott ist vielleicht nicht wie
dein Schokoladeneis“, sagte ich schließlich zu ihr. „Doch Gott könnte wie das tolle Gefühl sein, das Du hast, wenn Du Schokoladeneis schleckst.“ Sie lachte mich an und lief rasch
zu ihrer Mutti, die an der nächsten Ecke wartete. Ich kaufte mir schließlich eine Waffel mit zwei Stracciatella-Kugeln und einem Sahneturm obendrauf, setzte mich auf die nächste
Bank in die Sonne und fragte mich ernsthaft: „Woran glaube ich? Wie sehe ich Gott in genau diesem Augenblick? Als einen, der mich durchs Leben trägt? Der mich so nimmt, wie ich
bin? Der für mich stets da ist und mir zuhört?“ – Ja, das waren in diesem Moment meine Gedanken und alles schien irgendwie zuzutreffen. Schließlich kristallisierte sich ein Bild
heraus: „Gott ist für mich einer, der mir zuhört und mir nicht gleich ins Wort fällt. Zu dem ich jederzeit sprechen kann.“
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will Euch erquicken!“ sagte Jesus, in dem sich Gott besonders den Armen und Schwachen, den Kranken und Außenseitern zuwandte. Und diese Zuwendung war in erster Linie „Zuhören“, aber dann auch „Handeln“. Das betraf nicht nur die Geknechteten und Entrechteten. Für den reichen Jüngling hatte er ebenso ein Ohr, wie für die vom Volk ungeliebten Zöllner. – Ja, das ist mein Bild von Gott: Dass er sich besonders der Unmündigen, Zweifelnden, Geringen, und Armen annimmt, die heute nach wie vor überall unterdrückt und ausgegrenzt werden, und gerade für sie ein offenes Ohr hat. Anders, als viele Menschen heutzutage, die viel reden, aber wenig zu sagen haben. - Wie wäre es, wenn sie plötzlich nur noch 21 Worte sagen dürften? Wie jener alte Kutscher im Märchen: Über viele Jahre hatte er seinen Freunden Geschichten erzählt. Abend für Abend. Bis ihm eine Fee im Traum erklärte, von nun an habe er nur noch 21 Worte. Danach müsse er schweigen. Für immer. Nicht als Strafe, sondern als eine Art Bewährungsprobe. Und es geschah so: Schnell waren sie gesagt und aufgebraucht, die letzten Worte. Danach verstummte der Mann. Eine letzte Chance war ihm jedoch geblieben: Sollte er innerhalb der nächsten drei Monate die richtigen sieben Geschenke erhalten, fände er seine Sprache wieder. Alles schien vergeblich. Bis jemand die rettende Idee hatte: Jeder von ihnen sollte dem Mann eine Geschichte erzählen. Am siebenten Abend nach der letzten Geschichte, konnte er tatsächlich wieder reden ... Und er hatte gelernt, dass er sich erst einmal selbst beschenken lassen muss – und vor allem: den Anderen zuhören muss, gut und intensiv. - „Wenn Gott gewollt hätte, dass wir mehr reden als zuhören, hätte er uns zwei Münder gegeben, nicht zwei Ohren.“ Mit diesem irischen Sinnspruch wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Wochenende. |
|||
Autor: Gert Holle; Foto: Archiv - 2.5.2015
|