Angedacht – von und mit Gert Holle
Immer mehr haben wollen
Mitten in der Woche ein Feiertag - das kommt eher selten vor. In diesem Jahr fällt der 1. Mai, der Tag der Arbeit, auf einen Mittwoch. Der offizielle Feiertag lässt aber vielen Menschen tatsächlich keine Zeit für Entspannung, zum Relaxen. In vielen Bereichen wird gearbeitet wie an einem normalen Wochentag. Die Ökonomisierung unserer Lebenswelt schreitet voran und macht vor Feier- und Sonntagen keinen Halt. Längere Ladenöffnungszeiten, Teilzeitarbeit, Mini- und Midi-Jobs, Altersteilzeit, Arbeiten am Bildschirm – alles sicht- und spürbare Anzeichen, dass sich unsere Lebens- und Arbeitswelt rasant wandelt. Die Normalarbeitszeitverhältnisse sind rückläufig. Immer mehr Frauen und Männer gehen in Deutschland einer geringfügig entlohnten Arbeit nach – und damit einer vorherzusehenden Altersarmut unaufhaltsam entgegen. Im Angesicht des Fachkräftemangels und von Künstlicher Intelligenz verschieben sich die Bedingungen. Kürzere Wochenarbeitszeiten sind genauso im Gespräch wie die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
Wir können es als Warnsignal nehmen, dass wir - mitten in unserem nach wie vor ansehnlichem Reichtum - so arm dran sind, dass wir sogar kulturelle Werte unserer Feiertagskultur für das Immer-mehr-haben-Wollen opfern.
Zufällig blätterte ich kürzlich mal wieder in einem Buch mit dem für manche Hörer und Leserinnen wohl zynisch klingenden Titel „Vom Glück zu arbeiten - Warum eine würdevolle Beschäftigung so wichtig ist“:
„Es scheint, dass die Menschen mehr um der Marktwirtschaft willen da sind, als die Marktwirtschaft um der Menschen willen“, heißt es da … Und weiter: „Wir müssen bewusster darüber nachdenken, wie sich politische und ökonomische Macht zueinander verhalten. Wir stehen vor der ethisch-politischen Frage, ob wir noch den politischen Willen aufbringen können, das unüberbotene, freiheitlich-demokratische Ideal einer Bürgergesellschaft und ihre Voraussetzung der Chancengleichheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität unter veränderten Umständen neu zu überdenken und Reformen zu ihrer Erneuerung anzupacken, oder ob wir das Ganze unreflektiert der Dominanz des Marktes überlassen?“ – Das ist tatsächlich eine entscheidende Frage: Haben wir noch die Kraft, unsere Ideale und Werte angesichts der Dominanz des Marktes zu verteidigen, zu leben, anzupassen?
In der Bibel wird Arbeit noch als „Notwendigkeit zum Lebensunterhalt“ bezeichnet. „Arbeit als positive Bestimmung des Menschen“, so das biblische Bild, „da er seine Menschlichkeit durch sie entfaltet und am schöpferischen Tun Gottes teilhat.“ Schön gedacht. Doch bemisst sich heute nicht der Wert des Menschen nur weitgehend noch an dem materiellen Ertrag seiner Arbeit? An dem, was er einbringt? Der Mensch als Objekt im Sinne eines Produktionsfaktors?
Arbeit erscheint uns als Fluch und Segen zugleich. Es kommt nur darauf an, was wir vor dem Hintergrund von Globalisierung, Individualisierung und technologischer Vernetzung daraus machen. Die Arbeit wird uns auch in Zukunft nicht ausgehen, wohl aber werden sich die Qualität der Arbeit und ihre Anforderungen grundlegend verändern. Die bisherige einseitige Ausrichtung auf Gewinnmaximierung vernachlässigt dabei die Würde des Menschen. Ein Ausgleich und Zusammenhalt von „Stärkeren“ und „Schwächeren“ kann nur in neuen Formen der Arbeit und des Miteinanders gefunden werden. Unsere Kreativität und Phantasie sind gefordert. Denn letztlich sollte, ja muss gelten: über der Würde des Gewinns steht die Würde des Menschen. Wir müssen für uns aktiv klären, welche Zukunft von Arbeit tatsächlich gut für uns ist. Welche Arbeits- und Lebensbedingungen wollen wir? - Andernfalls werden es andere tun und uns diktieren, dass für sie das Gewinnmaximum das Höchste ist.
„Nicht die Art der Tätigkeit macht glücklich, sondern die Freude des Schaffens und Gelingens!“ Mit dieser bedenkenswerten Erkenntnis des Schweizer Staatsrechtlers und Laientheologen Carl Hilty wünsche ich Ihnen einen gesegneten „Tag der Arbeit“.
Autor: Gert Holle - 30.04.2024