Angedacht: Gut Ding will Weile haben

Foto: canva.com
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Angedacht: Gut Ding will Weile haben - von und mit Gert Holle

 

Was mein Lieblingsessen ist? Spinat, Kartoffeln und Spiegelei! Und mein Lieblingslied? „In the Ghetto“ von Elvis. Und … – halt, sie sollen ja wissen, um was es geht! Meine Frau hatte zwei „Freunde-Bücher“ aus ihrem Kindergarten mitgebracht – so etwas wie ein modernes Poesiealbum für die ganz Kleinen – und stellte mir nun ein paar Fragen daraus. „Gar nicht so einfach, sich spontan auf ein ‚Lieblings-Was-auch-immer‘ festzulegen“, stellte ich fest. - „Was ist Deine Lieblingstätigkeit?“ Sie sah mich erwartungsvoll an. Und nach einem kurzen Moment sagte ich: „Abwaschen!“- „Warum um alles in der Welt ‚Abwaschen‘? Wir haben doch eine Geschirrspülmaschine!“ Meine Frau schüttelte verständnislos den Kopf. – Sie wusste natürlich nichts von den tollen Gesprächen, die ich in meiner Kindheit und Jugend oft beim Abwaschen mit meinem Vater führen konnte. Er spülte, ich trocknete ab, reine Männersache. Und während dessen hatten wir genug Zeit, um über Gott und die Welt zu reden.

Ein paar Tage später. Wir waren zu Gast bei meinem Schwiegervater, der keine Spülmaschine besitzt. Nach dem Essen wurde abgewaschen. Meine Frau spülte, ich trocknete ab – ein guter Mix. Doch es kam kein Gespräch auf. Geordnet tauchte sie Teller für Teller ins Wasser, wusch sie ab und stellte sie dann zum Ablaufen an den Beckenrand. Es ging ruckzuck, auch mit den Bestecken. Während mein Vater früher erst einmal einen Großteil des Geschirrs zum Einweichen in die Schüssel gelegt hatte und der Schmutz sich wie von selbst löste, wartete meine Frau mit einer vollkommen anderen Technik auf: Sie löste sofort mit Putzen und Schrubben den Dreck! Das ging wesentlich schneller, doch die Zeit für ein Gespräch war dahin. Stattdessen machte ich mir so meine Gedanken: Müssen wir eigentlich immer alles aus eigener Kraft meistern? Gut Ding will doch Weile haben! – Wenn ich beispielsweise einen Text schreibe, lasse ich – ähnlich wie bei meinem Abwasch – die Zeit für mich arbeiten. Ich habe eine Idee, lege sie erst einmal zur Seite und dann wird aus der Idee ein Gedankengebäude - und schließlich ein Text. Den lege ich dann wieder zur Seite, feile später an dem einen oder anderen Satz. In meinen Schreibwerkstatt-Seminaren sage ich oft zu den Teilnehmern: „Lasst euch Zeit. Das Schreiben guter Texte für einen Gemeindebrief gelingt selten beim ersten Versuch. Texte müssen erarbeitet werden. Aber setzt euch nicht unter Druck. Auch ein Goethe hat seine Gedichte zig Mal im Nachhinein verbessert. Dabei hat er auch die Zeit für sich arbeiten lassen. Gut Ding will eben Weile haben.“

Diese Weisheit entnehme ich auch dem verkürzten Schöpfungsbericht aus den ersten beiden Kapiteln unserer Bibel, der an diesem Wochenende die Grundlage für so manche Predigt sein wird. Gottes Schöpfergeist ruft Himmel und Erde gleichsam aus dem Nichts hervor. Doch das macht er nicht mit einem Fingerschnippen, sondern an sieben Tagen. Oder waren es genau genommen nicht doch nur sechs? Dass diese Geschichte keine wissenschaftliche Darstellung sein will, sondern dem Glauben von Erzählern vor rund dreitausend Jahren entspricht, dürfte bekannt sein. Insofern ist es eher Haarspalterei, ob der siebte Tag, an dem Gott ruhte, in den Schöpfungsprozess eingebunden ist. Wichtiger erscheint mir die Tatsache, dass für die Erzähler der Geschichte die Zeit des Schaffens und die Zeit der Ruhe zusammengehören. Und ein Satz, der mit dem sechsten Tag verbunden ist, gefällt mir dabei besonders: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Er ist Bindeglied zwischen Arbeit und Ruhephase, die wiederum mit dem siebten Tag verknüpft ist, an dem laut Bericht die Schöpfung vollendet wurde. Somit zeigt sich, dass die Schöpfung und das darin entstandene Leben mehr sind, als das, was aktiv getan werden kann. Dafür steht seit jeher unser Glauben. - „Aus der Kraft des Glaubens bekommt etwa der Umgang mit der Zeit oder mit eigenem und fremdem Versagen eine andere Qualität. Sich in diesen Horizont zu stellen, fordert heraus – und entlastet zugleich. Denn es erinnert uns daran, dass Leben mehr als machen ist.“ 


Autor: Gert Holle - 2.04.2024