Siebzig Jahre danach – Abwesenheit von Krieg, zumindest in Deutschland … aber wirklich Frieden? Frieden mit immer weniger Waffen? Auch im persönlichen Umgang
miteinander?
Am Dienstag dieser Woche machte sich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier öffentlich große Sorgen um die Lage in der Ostukraine und in Griechenland: Die Welt, so der Außenminister, sei in keinem guten Zustand. Er könne sich an keine Phase seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erinnern, in der es so viele gefährliche Konflikte gab wie derzeit. Nur wenige Stunden nach dem ergebnislosen Eurogruppen-Treffen in Brüssel zeigte er sich auf einer Veranstaltung in Frankfurt aber auch kämpferisch: Deutschland müsse und werde mehr Verantwortung in der Welt übernehmen – sonst drohe der Frieden in Europa zu zerbrechen. – Erst kürzlich äußerte Wladimir Putin die Absicht, Russlands Atomwaffenarsenal aufstocken zu wollen. Die Amerikaner sprechen derweil von einer „Modernisierung ihrer Atomwaffen“ in Europa. Ein friedliches Zusammenleben stelle ich mir anders vor. Ich denke an das Märchen von den beiden Zwergen. Sie lebten einander gegenüber an einem schönen Fluss. Der eine schwor auf rote Rüben, der andere auf blaue. Und jeder versuchte, dem anderen seine Rüben schmackhaft zu machen. Sie trafen sich oft und lächelten einander an. Obgleich sie große Angst voreinander hatten. Deshalb hatte jeder ein Rübenwarngerät und ein Rübenabwehrgerät. Und sie besorgten sich davon immer mehr. Nur um sicher zu sein, dass sie „friedlich“ zusammenleben würden. – Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lächeln sie noch heute einander an. Mit Angst im Herzen … Ein fauler Frieden, denn: Angst ist meist ein schlechter Ratgeber. Damals wie heute. In der großen wie in der kleinen Politik. - Oft wissen wir gar nicht, wovor wir Angst haben. Es ist ein Zögern und Zaudern, gerade bei politischen Entscheidungen. Während wir in Deutschland oft von sorgfältigem Abwägen der Möglichkeiten sprechen, wird in anderen Ländern von „The German Angst“ gesprochen – „der deutschen Angst“. Denn unsere Nachbarn scheinen es schon lange zu wissen: Wir Deutschen sind ein Volk von Bedenkenträgern, durchleben kaum einen Tag ohne Existenzangst und hassen Veränderungen. Angst vor steigender Steuerlast durch die Europa-Krise; Angst vor Flüchtlingen, die zu uns kommen; Angst um unsere Rente. - Nicht umsonst blüht das Versicherungsgeschäft … . Am Ende seiner Rede wurde der Außenminister noch deutlicher: Europa befinde sich "vor der vielleicht entscheidendsten Phase seiner Geschichte". Im Kalten Krieg ging es um eine Annäherung zwischen Ost und West. Heute stehe mehr auf dem Spiel: der Frieden in einem bereits geeint geglaubten Europa. – Warum tun sich alle so schwer, den Frieden zu bewahren? Das Gesicht wahren, darum geht es vielen – nicht nur in der Politik: „Wie stehe ich am Ende da? Blamiert? Als Verlierer?“ - Zweifelsohne: Persönliches Ansehen ist wichtig. Nicht nur Ansichten. Die verengen den Blick zu einem kleinen vordergründigen Ausschnitt. Je festgefügter und allgemeingültiger sie sich geben, umso mehr behindern sie eine klare Sicht. Auch gute Aussicht. Ansehen kann ich nur jemandem geben, den ich wirklich ansehe: Als Menschen. Nicht seine Sprache oder Hautfarbe, Herkunft, Kleidung oder andere Ansichtssachen. Wer sich so die Sicht freihält, blickt durch die Vordergründigkeit hindurch. Sieht den anderen in seiner Not. Und damit auch sich selbst. Hinter Vielem verborgen ist die Angst, das Leben verfehlen zu können. Vermeintliche Stärke hilft auch nicht, wenn das Ansehen fehlt. Und doch genügt oft nur ein Blick, der manches verändert. Der weiterreicht als bis zur äußeren Ansicht. Vielleicht, weil es ein Blick voller Gottvertrauen ist. Der spüren lässt: Wir sind zwar nicht alle gleich, aber alle gleichviel wert. Mit großem Ansehen der eigenen Person. Das macht vieles leichter: Eigene und fremde Last. In solch einem Klima kann ein friedliches Miteinander ohne Angst gelingen – in der großen Politik wie im eigenen Alltag. - In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Wochenende. |
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Autor: Gert Holle; Foto: Archiv - 27.6.2015
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