Der Denkanstoß – von und mit Gert Holle: Alle Zeit bleibt stehen
Ruben, sein Bruder Aaron und die anderen Hirten waren schon längst wieder bei Ihrer Herde, als die drei Weisen derweil immer noch dem Stern nach Bethlehem folgten. Der Weg war lang und beschwerlich. Doch bald würden sie das ersehnte Ziel erreichen und das neugeborene Kind in dem schmutzigen Stall in einer Krippe liegend finden. Sie würden Ihre Geschenke überreichen und sich an dem Wunder, das ihnen und der ganzen Welt von Gott geschenkt worden war, erfreuen. Vier Tage war es bereits her, da Maria ihre Niederkunft hatte. Doch irgendwie schien die Welt still zu stehen. Viele hatten ihre Freude schon geteilt, so wie Ruben und Aaron, denen in dem kleinen Wesen die verborgene Herrlichkeit Gottes erschienen war. Und auch für sie blieb irgendwie die Zeit stehen – auch wenn sie damals noch keine Uhr hatten. Die Natur, die Jahreszeiten mit ihren Traditionen, die gemeinsamen Mahlzeiten mit ihren Familien bestimmten das Leben. Ein gesunder Rhythmus, mit Pausen und Feiern und Durchatmen. Der Sabbat war ihnen heilig. Noch wurde die Zeit nicht in Tag- und Nachtschichten geteilt. Noch waren die Menschen weit entfernt, die Zeit immer präziser zu messen, in Sekunden zu zerhacken. Immer mehr in sie hineinzupacken und am liebsten alles gleichzeitig zu erledigen und sich zu überfordern. Noch hatten sie das Gefühl dafür, dass ihre Zeit von Gott geliehen ist. Und sie hatten das Gefühl dafür, sich auf den wunderbaren Moment, der ihnen geschenkt worden war, voll und ganz einzulassen. - Ruben und Aaron saßen am wärmenden Feuer und hüteten die Herde. „Ist die Schönheit dieser Welt nicht phantastisch?“ fragte Ruben seinen Bruder. Und dieser antwortete sogleich: „Ja, die Welt hält so viele Schätze bereit. Wir müssen uns nur von ihnen berühren lassen.“ Das Kind in der Krippe ging beiden nicht mehr aus dem Kopf. „Du, wenn ich die Augen zumache, habe ich immer doch diesen hellen Schein aus dem Stall vor mir. Ich wünschte, dieses Bild könnte ich mein Leben lang in mir tragen“, sagte Ruben. „Vielleicht bleibt ja die Zeit stehen“, erwiderte Aaron. „Wenigstens für einen Moment oder ein paar Tage – damit die Welt zur Ruhe kommt.“ „Genau. Und damit sich die gute Nachricht weiter verbreiten kann. …“ – Für einige Minuten waren sie ganz still, schauten in den Himmel, waren ganz bei sich. „Siehst du den hellen Stern dort?“ Ruben deutete mit seinem Zeigefinger Richtung Bethlehem. „Ja, er steht dort direkt über dem Stall. Weißt Du, Ruben – viele haben Gott im Großen und Mächtigen erwartet. Sich einen gewaltigen Herrscher über die Welt erhofft. Doch nun hat er sich im Kleinen gezeigt – in dem neugeborenen Kind in der Krippe.“ „So haben wir es erlebt“, sagte Ruben. „Im Leisen und Überhörbaren, in der Stille ist Gott zu Hause. Wenn wir die Augen schließen, können wir diese Stille entdecken. Wenn wir ganz bei uns sind, können wir das Geheimnis erfahren.“ - „Was für ein Geschenk und Glück!“ jubelte Aaron. „So können wir einen neuen Himmel und eine neue Erde sehen, wo Gott mitten unter uns Menschen wohnt. So hoch sich der Himmel über der Erde wölbt, soweit umfängt uns Gottes Liebe.“
Liebe Hörer, liebe Leserin, lieber Leser, so wie Ruben und Aaron damals mag es uns in diesen Tagen nach Weihnachten auch gehen. Wir sind zur Ruhe gekommen, erinnern uns an die schönen Erlebnisse, die wir in diesem Jahr hatten. Viele haben noch Urlaub und genießen die Zeit, die sie für sich haben. Vielleicht klingt bei dem einen oder anderen auch noch nach, was an Weihnachten nicht gelungen ist, was sich nicht erfüllt hat. Und so mancher möchte vielleicht auch die Zeit anhalten, um die Schönheit dieser Welt zu sehen. Die vielen Schätze, die sie uns entgegenhält. Und vielleicht geht es auch nur ums sein lassen. Darum, was ist, in Gottes Hände zu übergeben. Dort kann es bleiben, von dort wird kommen, was das neue Jahr für uns bereithält: Neue Kräfte, neue Ideen. Liebe.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten Jahresausklang.
Ihr Gert Holle
Autor: Gert Holle - 27.12.2023